kessler


KEẞLER, (GERHARD) FERDINAND (WILHELM) * Presberg (heute Stadtteil von Rüdesheim; nicht Frankfurt/M.) 14. Jan. 1793 | † ebd. 21. (nicht 22. oder 28.) Okt. 1856; Violinist, Musiklehrer und –theoretiker, Komponist

Keßler, Sohn des Kontrabassisten Johannes K. (* Presberg 4. Mai 1764 | † Frankfurt/M. 26. März 1845), war in Offenbach Schüler von Johann Georg Vollweiler, debütierte 1819 in Frankfurt mit „bedeutendem Beyfall“ (AmZ 19. Mai 1819) als Pianist, trat (als Violinist) wie sein Vater in das Frankfurter Theaterorchester ein und „lebte ohne höheren Ehrgeiz in bescheidener Stille in seiner Vaterstadt als Musiklehrer, so dass er es niemals zu einer seinen bedeutenden Fähigkeiten entsprechenden Stellung gebracht hat“ (Mendel/Reissmann). Sein Plan, eine musikalische Leihbibliothek zu eröffnen (Brief an Schott 10. Mai 1825) wurde ebenso wenig in die Tat umgesetzt wie die Vorhaben, sich auf die neu geschaffene Stelle des Kölner Domkapellmeisters bzw. auf die nach dem Tod Franz Danzis vakant gewordene Position des Karlsruher Hofkapellmeisters zu bewerben (Briefe 4. Jan. und 20. Apr. 1825). Für den Verlag Schott in Mainz, mit dem er seit 1820 in Verbindung stand, übernahm er (anstelle Gottfried Webers, der diesen Auftrag vehement ablehnte), von Mitte 1825 bis Mai 1827 das mühsame Geschäft der Korrekturen von Beethovens Neunter Sinfonie und Missa Solemnis sowie, was man bisher nicht wusste, auch der Ouvertüre op. 124 und des Streichquartetts op. 127. Zu seinen Schülern zählten Johann Baptist André, Franz Friederich, Johann Christian Hauff, Heinrich Henkel, Johann Georg Heyder, Theodor Mohr, Julius Sachs und Franz Wüllner; über seine Bekanntschaft mit Franz Brentano kam er in persönlichen Kontakt mit Beethoven (s. hierzu weiter unten sowie den Art. Josepha Brentano). Daneben pflegte er in Frankfurt vertrauten Umgang mit seinem Orchesterkollegen Anton (II) Brand, mit Johann Nepomuk Schelble und mit Franz Xaver →Schnyder von Wartensee sowie später mit Anton →Schindler. Verheiratet war Keßler seit 1823 mit Henrietta geb. Ott aus Usingen († Frankfurt/M. 1844). Keßlers Bruder Carl (August Maria) (* Presberg ca. 1795 | † Frankfurt/M. 8. Febr. 1880) gehörte gleichfalls, und zwar als Violinist, dem Theaterorchester an. Der Frankfurter Instrumentenmacher Justus Keßler (1810–1900) ist nicht mit Ferdinand Keßler verwandt.

Die Hilflosigkeit, die der Verfasser der Einträge zu Keßler in Gustav Schillings Encyclopädie sowohl im Hauptteil (1840) als auch im Supplement (1842) zeigt, ist symptomatisch: Er sah sich „auch jetzt noch außer Stande, verlässige (sic) Nachrichten über das Leben dieses Künstlers und Musikgelehrten zu geben“ (Suppl.-Bd., S. 239) und weist ihm gar noch ein Buch zu (Der musikalische Kirchendienst, 1838), das von einem ganz anderen Keßler stammt. Dabei kann man dem braven Lexikographen nicht einmal einen Vorwurf machen, denn Ferdinand Keßler scheint für seine Zeitgenossen – einmal abgesehen von einem überschaubaren Expertenkreis – als Künstler geradezu unsichtbar gewesen zu sein. Während nicht einmal die Didaskalia von seinen Tod Notiz nahm, war es Anton Schindler, der ins andere Extrem verfiel und in der Niederrheinischen Musik-Zeitung einen ungewöhnlich ausführlichen Nekrolog vorlegte, wobei er sich als enger Vertrauter und Bewunderer Keßlers zeigt: Er schildert ihn, dessen musikalisches Gedächtnis unvergleichlich gewesen sein muss, als „in weiten Kreisen gänzlich unbekannt“ und eben auch nicht im Mindesten bedacht auf Ruhm und öffentliche Anerkennung – somit Franz Schubert ganz ähnlich, dem „ein Glas Bier und eine Pfeife guten Tabaks […] Haupt-Bedürfnisse“ waren, während Keßler „ein Glas Aepfelwein und eine gefüllte Dose mit Schnupftabak“ bevorzugte. Gleichwohl „genoss“ Keßler „die Ehre, zu den Strassen-Curiositäten seiner Vaterstadt zu gehören; den kleinen, immer singenden Musicus kannte die ganze Stadt“. Exakt 30 Jahre später bezeichnet der Frankfurter Schriftsteller Franz Rittweger (1828–1910) in einem Beitrag über Schnyder von Wartensee in der Frankfurter Zeitung Ferdinand Keßler als „das hervorragendste musikalische Genie, dessen sich das Frankfurt der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts rühmen durfte“. Man reibt sich die Augen; bevor wir aber dem Begeisterten (dieser war übrigens Sohn einer Schwester Keßlers, also dessen Neffe, was Einiges erklären mag) unsere Zustimmung gewähren, machen wir mit Nachdruck auf die bereits digitalisierten Briefe Keßlers aufmerksam, die aus einer ganze Reihe von Gründen (also nicht nur, weil es auch um Beethoven geht) der kommentierten Veröffentlichung harren.

WerkeTrois Sonates faciles (Kl.) op. 9, Mainz etc.: Schott [1832]; D-B, D-Cl (digital: Livre 1, Livre 2, Livre 3), D-Mbs, D-Sl <> Trios Sonates (Kl.) op. 10 (Widmung an Nicolaus Baldenecker), ebd. [1832]; D-B, D-Mbs (auch verm. autographe Stichvorlagen; digital: Sonata 1, Sonata 2, Sonata 3), PL-Wn (Nr. 2) <> 3 Thèmes favoris de l’Opéra „Der Freischütz“ variés (Kl.), Bonn: Simrock [1822/23]; D-B, D-Dl – zwei Hefte (Variationen über den Jungfernchor bzw. über das Trinklied (op. 2)) erschienen gleichzeitig oder nur wenig später bei Schott in Mainz, nachdem es über die Werke zu einer heftigen Auseinandersetzung mit dem Komponisten (s. dessen Briefe vom 20. Okt. und 9. Nov. 1822) gekommen war. <> Keßlers Bearbeitung einer von Schnyder von Wartensee gestellten Kontrapunktaufgabe ist abgedruckt in: Cäcilia 2 (1825), S. XI–XIII <> Ein „gedrucktes Werk für Flöte mit vollem Orchester“ (Schindler, Nekrolog, S. 358) ließ sich nicht ermitteln <> Keßlers System zum Selbstunterricht in der Harmonie (Mendel/Reissmann) blieb ungedruckt ebenso wie eine nicht aufgeführte, dreiaktige Oper Cäcilia (vgl. Brief an Schott 2. Mai 1823), weiterhin Sinfonien (eine davon übermittelte er Beethoven Ende 1816/Anf. 1817 zur Beurteilung), Quartette u. a.

Quellen und Literatur — KB Frankfurt; Standesamtsregister Frankfurt <> ca. 100 Briefe Keßlers an Schott in Mainz (1820–1827) in D-B und D-Mbs, s. Kalliope; Brief an Simrock (1837) in D-BNsa; Brief an Anton Schindler (1844) in D-BNba <> Briefe Beethovens an Franz Brentano (15. Febr. 1817) sowie an Ferdinand Keßler (nach 15. Febr. 1817); s. Ludwig van Beethoven. Briefwechsel. Gesamtausgabe, hrsg. von Sieghard Brandenburg, Bd. 4, München 1996, S. 26–27 sowie 31–32 (Nr. 1083 sowie 1086) <> Briefe von André in Offenbach an Joh. Keßler (3, 1819–1820); D-OF (Briefkopierbuch 1818–1820) <> Anton Schindler, Ferdinand Kessler (Nekrolog), in: Niederrheinische Musik-Zeitung 8. Nov. 1856, S. [357]–359; hierzu: N.N., Eingesandt, ebd. 29. Nov. 1856, S. 387 <> Anton Schindler, Biographie von Ludwig van Beethoven, 2. Teil, Münster 1860, S. 151 (Anm.) <> Franz Rittweger, Xaver Schnyder von Wartensee (Schluß), in: Frankfurter Zeitung und Handelsblatt 19. Apr. 1886 (Morgenblatt) <> AmZ 25. März 1804, 25. März 1812, 19. Mai 1819, 14. Febr. 1821 <> Mitteilungen des Instituts für Stadtgeschichte Frankfurt <> HmL, MMB <> SchillingE, GollmickH, Mendel/Reissmann, Pazdírek, RiemannL 1909, ViottaL, StiegerO <> Peter Cahn, Art. Frankfurt am Main, in: MGG2S, Bd. 3, Sp. 653–654 <> LvBWV, Bd. 1, S. 779, 792, 816 <> Beate A. Kraus, Kritischer Bericht zu Neue Gesamtausgabe der Werke Beethovens Bd. I/5 (Symphonie Nr. 9 op. 125), S. 290, 292, 302, 310

Abbildung: Titelseite zu Keßlers Sonate facile op. 9 Livre 2; D-Cl


Axel Beer

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  • angelegt 2018/03/10 21:15