Paul Stützel
STÜTZEL, PAUL (JOHANN LEONHARD) * Neuschöneberg (Berlin) 21. Apr. 1852 | † Bessungen (Stadtteil von Darmstadt) 24. Juni 1901; Militärmusiker
Bei strenger Auslegung unserer Richtlinien hätte Paul Stützel keine Chance auf ein Denkmal in Form eines MMM-Artikels; er würde das Schicksal zahlloser anderer Musikerinnen und Musiker teilen, die „Werke“ in einem engeren Sinne nicht hinterlassen haben und deshalb durch den Rost fallen. Es sei jetzt nicht aufs Neue diskutiert, warum jene Entscheidung gefällt wurde; wichtig ist, dass es selbstverständlich Ausnahmen gibt sowie auch Begründungen hierfür: Die abgebildete Postkarte von der Hand und mit dem Portrait Paul Stützels – gefunden von Frau Margit Rinker-Olbrisch bei Erschließungsarbeiten im Wormser Stadtarchiv – rechtfertigt eine Abweichung von der Norm, denn sie ist eine überaus wichtige Quelle. Hintergrund waren die enorm aufwendigen und bis in alle Einzelheiten durchgeplanten Feierlichkeiten anlässlich der Einweihung der neuen Straßenbrücke über den Rhein in Worms am 26. März 1900, an denen nicht nur der Landesherr Großherzog Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt – er gab dem Bauwerk (an der Stelle der heutigen Nibelungenbrücke) seinen Namen – teilnahm, sondern die gesamte Bevölkerung in vielfältiger Weise mit von der Partie war. Natürlich gehörten auch musikalische Veranstaltungen zum Festprogramm, und Paul Stützel, zunächst Stabstrompeter, seit 1890 Musikdirektor des Großherzoglich Hessischen Feld-Artillerie-Regiments Nr. 25, brachte sich und seine Leute gleichsam in Stellung: „Zu bevorstehenden Festlichkeiten gestatte ich mir ganz ergebenst mit meiner gut geschulten Kapelle zu Musikaufführungen jeder Art bestens zu empfehlen“. Vielleicht war Stützel etwas zu spät dran mit seinem Angebot an die Wormser Bürgermeisterei; zumindest im offiziellen Festprogramm findet sich keine Spur von ihm und seiner Kapelle – das Darmstädter Hoforchester unter Friedrich Rehbock war zumindest für die zentrale Festveranstaltung engagiert worden, in der auch der Wormser Sängerbund, begleitet von der Kapelle des Großherzoglich Hessischen Landwehr-Regiments Nr. 118, auftrat. Was wir aber lernen: Vor allem jenseits der Wintermonate, während derer die Mitglieder der Militärkapellen vielfach Verpflichtungen innerhalb der Hoforchester und -theater hatten, sowie auch jenseits militärischer Aufgaben waren insbesondere die Kapellmeister ständig auf der Suche nach Auftrittsmöglichkeiten, um den Unterhalt ihrer Musiker zu gewährleisten. Neben herausgehobenen Anlässen, die gute Einnahmen versprachen, und dem Privileg, im städtischen Musikbetrieb Abonnementskonzerte veranstalten zu dürfen, boten vor allem Jahrmärkte, Volks- und Gesangsfeste während der schönen Jahreszeit Gelegenheit, das Publikum zu unterhalten; vgl. etwa die Abbildungen in unseren Artikeln zu Theodor Adam und Eberhard Schaefer. Dass Stützel 1887 vom Landesherrn mit dem Silbernen Kreuz des Verdienstordens Philipps des Großmüthigen ausgezeichnet wurde, wollen wir nicht unerwähnt lassen – die Postkarte zeigt ihn mit einer ganzen Reihe weiterer Ordenszeichen, die er mit erkennbarem Stolz trug.
Übrigens: Stützels Bruder Franz (* Berlin 9. Nov. 1853) war ebenfalls als Stabstrompeter, und zwar im Großherzoglich Hessischen Dragoner-Regiment Nr. 24, angestellt – wir kennen ihn als Trauzeugen bei Pauls Hochzeit mit der Regimentsschuhmacherstochter Elisabeth geb. Müller (1882), und umgekehrt begleitete Paul den Bruder Franz in gleicher Funktion bei dessen Eheschließung (1881). Vielleicht aus unserer Sicht wichtiger: Franz Stützel ist mutmaßlich derjenige, der 1887 bei Oertel in Hannover einen Jubiläums-Fest-Marsch (Kl.; D-B) veröffentlichte, und dies würde auch bei strenger Auslegung unserer Richtlinien einen Artikel über die Stützel-Brüder rechtfertigen. Wir lassen es aber bei der vorliegenden Version.
Quellen — Standesamtsregister Bessungen und Darmstadt <> Postkarte Paul Stützels, dat. 12. März 1900; D-WOsta (Abt. 5, Nr. 05031) – herzlichen Dank, liebe Frau Rinker-Olbrisch! <> Wormser Tagblatt 23. März 1900, 26. März 1900 (darin enthalten Fest-Nummer), 27. März 1900 <> Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt 20. Sept. 1887 (Beilage 25), 7. Mai 1890 (Beilage 10) <> MMB
Abbildung: Postkarte Paul Stützels mit Portrait, Stempel und eigenhändigem Anschreiben an Wormser Bürgermeisterei (1900); D-WOsta
Axel Beer