jaegermeier


JÄGERMEIER, OTTO * München 29. Okt. 1870 (nicht 1879) | † Zürich 22. Nov. 1933; Komponist und Ethnologe

In einem musikwissenschaftlichen Werk von Anspruch – das gilt auch und insbesondere für eines, das den Mittelrhein in den Fokus nimmt – darf eine Persönlichkeit wie Otto Jägermeier nicht fehlen, obwohl die Verbindung des Komponisten zur Region nur kurz währte. Unsere Kenntnis hiervon ist dem glücklichen Umstand zu verdanken, dass unlängst im Staats- und Dschungelarchiv der madegassischen Provinzhauptstadt Fianarantsoa (MAD-FIsd) ein Tagebuchblatt des Komponisten – das einzige erhaltene Relikt eines ansonsten verloren gegangenen Diariums aus der Zeit am Mittelrhein – aufgefunden wurde, demzufolge dieser sich wohl zwischen Hochsommer 1902 und Frühjahr 1903 in Frankfurt aufhielt. Den darauf befindlichen Speiseresten ist zu entnehmen, dass Jägermeier es dazu benutzt hatte, ein Paar Frankfurter (Würstchen, nicht Einwohner!) darin einzuwickeln und unbeschadet aus der Stadt zu schmuggeln, bevor das Blatt, sorgfältig geglättet und von Senf befreit, als Lesezeichen verwendet wurde; als solches fand es ein aufmerksamer Benutzer des besagten Archivs in einer Druckausgabe des Reiseromans Der Dschungel rief zurück des ansonsten unbekannt gebliebenen westgabunesischen Globetrotters Dawar Jch-Shon.

Jägermeiers übriger Lebensweg ist durch die ein- bis zweischlägige Fachliteratur hinreichend abgehandelt worden, so dass es genügen mag, nur einige wenige Stationen seines Wirkens aufzuführen. Der Sohn eines Zoologen studierte in München bei Ludwig Thuille und Josef Gabriel Rheinberger. Ersterer war auch Lehrer Clemens von und zu Franckensteins, der Jägermeier, in enger Freundschaft verbunden, hin und wieder als sein „Monsterchen“ titulierte, angeblich wegen seines furchterregenden Lachstils. Genervt von derlei Liebkosungen, begab Jägermeier sich auf Reisen, die ihn u. a. nach Island führten. Nach der Rückkehr von der Insel (1902) plante er, sich in Frankfurt/M. niederzulassen, machte aber den Fehler, bei den Behörden nicht unter seinem korrekten Namen, sondern mit dem Pseudonym Meierjäger vorstellig zu werden. Zudem benutzte er als Vornamen das Palindrom ottO, was aber seinerzeit niemandem auffiel (jedenfalls behauptet Jägermeier das im überlieferten Tagebuchauszug); die Anregung hierzu hatte er von Max →Reger (regeR) bekommen, dem er in Frankfurt/M. begegnete – die bislang nur vermutete Verbindung zwischen den beiden Komponisten (vgl. Schaarwächter 2008) kann somit als gesichert angenommen werden. Als der Schwindel aufflog, musste der Komponist die Stadt verlassen; sämtliche Spuren seiner Anwesenheit wurden vom verärgerten Rat der Stadt dem Feuer übergeben.

Jägermeier zog nach Wiesbaden, wo er aber ebenfalls nicht Fuß fassen konnte: Sein Plan, eines der drei in den USA gebauten und rund 200 Tonnen wiegenden Dynamophone – erfunden von Thaddeus Cahill (1867–1934), auch Telharmonium genannt – in den Kurkonzerten zu etablieren, scheiterte kläglich: Der Wiesbadener Bahnhof war zu klein für den Antransport des Instruments, der in 30 Güterwaggons erfolgen hätte müssen. Ein Besuch in einer Metzgerei ganz in der Nähe veranlasste ihn dann zur Niederschrift seiner Rhapsodie Das sterbende Schwein, deren Fertigstellung sich aber bis 1904 hinzog. Der Komponist zog nach München, und wenig später finden wir ihn in Madagaskar, das ihm zur neuen und dauerhaften Wahlheimat wurde. Jägermeier verstarb jedoch nicht auf der Insel, sondern in Zürich – keineswegs, wie bislang angenommen, auf einer Urlaubsreise, sondern auf dem Weg in Richtung Mittelrhein, wo er noch einmal in den Genuss eines Paares Frankfurter gelangen wollte.

Werke — Auflistungen von Jägermeiers Kompositionen sind den einschlägigen biographischen Darstellungen zu entnehmen, ein vollständiges Werkverzeichnis findet sich bei Wulff 2021, S. 9–15; hier nur die neu bekannt gewordenen Werke. Aus der Zeit in Frankfurt: Frankfurter Kranz, Walzerfolge (Kl. 3ms) <> Der Römer. Ein archimusiktekturalisches Bild in drei Sätzen (kl. Orch.); ausgeführt wurde offenbar nur Teil 1: Alt-Limpurg – beide Werke sind verschollen. <> In Wiesbaden entstanden Skizzen zu dem Lied Wisibada, meine Hoffnung (Sst., Kontrabass-Blockflöte, Triangel, Dynamophon; eigener Text); MAD-FIsd <> Das sterbende Schwein, Rhapsodie (Kl., Jagdhorn in der Ferne), begonnen in Wiesbaden 1903, fertiggestellt 1904 in München, Berlin: OJOT 1991 (Sämtliche Werke in Einzelausgaben, Serie F: Solowerke)

Quellen — Teilnachlass Köln; D-KNa, ging 2009 beim Einsturz des Archivs weitgehend verloren <> Teilnachlass Hamburg; D-Hs: Tagebücher (22 Bde.), zahlr. Jugendkompositionen im Manuskript <> Teilnachlass Fianarantsoa, Madagaskar; MAD-FIsd: neben dem Tagebuchblatt werden hier einige noch nicht ausgewertete Skizzenbücher aufbewahrt

Literatur (Auswahl) — Albrecht Gaub, Art. Jägermeier, Jaegermeier, Otto, in: MGG2P <> Hans Joachim Marx, Der Jägermeier-Nachlaß in Hamburg, in: Gradus ad Parnassum. Egon Voss zum vierzigsten Geburtstag, hrsg. von Dietrich E. W. Mack, Rofan 1978, 2. stark erw. Aufl. 1980, S. 74–81 <> N. N. (vermutl. Jürgen Schaarwächter), Reger und Otto Jägermeier – und ein verschollenes Reger-Werk?, in: Mitteilungen der Internationalen Max-Reger-Gesellschaft 2008, S. 11–15 <> Hans Jürgen Wulff, Otto Jägermeier. Ein Dossier, Westerkappeln 2021 (Medienwissenschaft: Berichte und Papiere, Bd. 199), mit ausführlicher Bibliographie <> Dominique Ehrenbaum, Art. Jägermeier, Otto, in: Musik in Zürich. Ein Stadtführer, hrsg. von Bernhard Hangartner und David Reißfelder, Zürich 2021 <> zum neuaufgefundenen Skizzenblatt: Achge Wegg u. Hö-a Dochuff, unter Mitarbeit von Gemer Fort, Taratasy saosisy vao hita avy amin’i Otto Mpihaza-Mei-izy (in Malagasy; deutsch: „Ein neu aufgefundenes Würstchenpapier von Otto Jäger-Mei-er“), in: Revue musicale madegassienne 2024, S. 19–16 <> zu weiteren aktuellen Neuerscheinungen siehe auch die Literaturbesprechungen im seit 1986 nicht mehr erscheinenden Magazin Ottomanie. Zeitschrift zur Wiederentdeckung und löblichen Beförderung zu Unrecht vernachlässigter oder dem Vergessen anheimgefallener Komponisten, zur kritischen Betrachtung bestehender sowie Erforschung und Erprobung alternativer Konzertformen (offizielles Organ der Otto-Jägermeier-Society Berlin e. V.); einsehbar in D-Bu, D-Fdnb, D-Mbs

Abbildung 1: Otto Jägermeier vor dem Salzhaus (rechts) am Römerberg in Frankfurt/M., polychrome Asphaltphotolithographie (Photochrom) (Wikimedia Commons, gemeinfrei)

Abbildung 2: Ausschnittvergrößerung aus Abbildung 1; Jägermeier, in rötlichbraunem Jackett, trägt ein Bündel Noten zum Altpapier. Aus dem Schattenwurf ist zu schließen, dass das Photochrom am 27. Juli 1902 um 11:36 Uhr aufgenommen wurde.


Bernd Krause und Schalk von und zu im Nacken

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