Daniel Bollius
BOLLIUS, DANIEL * Ort unbekannt; verm. um 1585 | † vielleicht in Mainz, wohl nicht nach 1638; Organist und Komponist
Die erste datierte Quelle zu Daniel Bollius ist seine Immatrikulation an der Universität in Dillingen vom August 1603, in der er als „Daniel Bollius Hechingensis pro rud[imentis] p[auper]“ bezeichnet wird. Da sein Vater Marcus (Marx) Bollius am 10. September 1589 als Altist an die Hofkapelle des Grafen Eitel Friedrich IV. von Hohenzollern-Hechingen eintrat, wurde aus beiden Angaben bisher Daniels Geburt um 1590 in Hechingen vermutet. Diese ist aber zu bezweifeln, da bei Immatrikulationen nicht zwangsläufig der Geburts-, sondern eher der Wohnort eingetragen wurde. Auch wäre eine Immatrikulation im Alter von nur 13 Jahren sehr ungewöhnlich; Bollius wird als Kleinkind nach Hechingen gekommen sein. Die Gleichsetzung seines Vaters mit dem 1578 in den Ansbacher Hofakten nur als „Marx“ bezeichneten Musiker ist ebenfalls sehr zweifelhaft, weswegen weder Geburtsjahr noch Geburtsort zweifelsfrei zu bestimmen sind.
Bollius’ erster Lehrer dürfte sein Vater gewesen sein, der in Hechingen vertretungsweise auch als Organist und ab 1601 als Vizekapellmeister („Regent“) angestellt war, zu dessen Aufgaben auch die Ausbildung der Kapellknaben gehörte. Orgelunterricht erhielt Daniel wahrscheinlich durch Jakob Hassler, der bis 1603 als Hoforganist in Hechingen angestellt war, und von Hieronymus Rosso, der von 1591 bis 1593 in Hechingen nachweisbar ist. Aus einem eigenhändigen Schreiben vom 1. April 1613 aus Sigmaringen, wo er als „organista und registrator“ des Grafen Johann von Hohenzollern-Sigmaringen wirkte, geht hervor, dass er zuvor in Augsburg Unterricht bei Christian Erbach erhalten hatte (vgl. Schmid, Zollernhöfe, S. 115). 1608 wechselte sein Vater als Organist nach Rottweil, und am 23. September 1614 wurde ihm und Daniel Bollius gemeinsam für fünf Jahre ein kaiserliches Druckprivileg für „Compositiones“ gewährt, wobei ein entsprechender Musikdruck nicht nachweisbar ist. Ab 1619 taucht sein Name in den Sigmaringer Akten nicht mehr auf, und erst am 4. April 1626 wird er im Zuge der Planungen für die neue Mainzer Domorgel in den Kurmainzer Hofakten genannt. Abgenommen wurde diese Orgel am 26. März 1627 u. a. von Bollius und dem Frankfurter „Kleinorganisten“ Matthias Sagittarius. Im Jahr 1629 begutachteten Bollius und Johann Andreas Herbst gemeinsam die von Herbsts Schwager Nikolaus Grünwaldt erbaute neue Orgel in der Stiftskirche zu Aschaffenburg. Bollius könnte allerdings schon im Frühjahr 1619 direkt in Kurmainzer Dienste getreten sein; sein Wechsel nach Mainz steht möglicherweise in Verbindung mit der Wahl und Krönung Ferdinands II. am 28. August bzw. 9. September 1619 in Frankfurt, wobei die Krönungsmesse durch Musiker der königlichen wie auch der kurfürstlichen Kapelle („Musicos Regios & Electorales“) ausgestaltet wurde (Matenesius, De parentela, S. 85). In den Jahren von 1627 bis 1631 wird Bollius neben den erwähnten Orgelgutachten in den Mainzer Hofakten genannt und im Mai 1631 erstmals als „organista aulicus et capella magister“ bezeichnet (Schmid, Zollernhöfe, S. 119). Er übernahm zu diesem Zeitpunkt die Vertretung des erkrankten Hofkapellmeisters Gabriel Plautz. Am 21. November 1631 heiratete er Barbara Steinmetz, vielleicht eine Tochter des Kurmainzer Kanzlers Christoph Faber. Danach verlieren sich seine Spuren in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges. Anfang Dezember 1631 flohen der seit 1629 regierende Erzbischof Anselm Casimir Wambolt von Umstadt und das Mainzer Domkapitel nach Köln, da Mainz von den Schweden bedroht und alsbald besetzt wurde. Der Kurfürst kehrte erst am 22. Juni 1636 nach Mainz zurück. Ob Bollius mit ihm ins Exil gegangen war, ist unbekannt. Mit dem Neuaufbau der Hofhaltung wurde 1638 ein neuer Hoforganist (Johann Molitor) angestellt, was darauf hindeutet, dass Bollius vor diesem Zeitpunkt verstorben ist, da sein Name später nirgends mehr nachweisbar ist.
Im gleichen Jahr findet sich in einem 135 Musikhandschriften und -drucke umfassenden Nachlassinventar des Hans Georg Beck, der seit 1627 als Mitglied der Frankfurter Kapelle unter Johann Andreas Herbst belegt ist, „Tabulatur in Noten Daniel Bollij“ und „Representatio Harmonica S. Johannis Baptistae aut: Bollio“(Epstein, Musikwesen, S. 64–67). Hierbei handelt es sich um den größten Teil der noch heute erhaltenen Werke des Daniel Bollius, die aus dem Nachlass durch den Breslauer Kaufmann Ambrosius Profe, der auch als Organist an der St. Elisabethkirche zu Breslau tätig war, erworben wurden und die sich heute in der Staatsbibliothek Berlin (D-B) befinden (vgl. das Werkverzeichnis weiter unten). Für einen Aufenthalt von Bollius in Italien gibt es keinen Beleg – ein Musiker aus dem Rhein-Main-Gebiet des frühen 17. Jahrhunderts musste nicht notwendig nach Italien reisen, um sich mit den neuesten musikalischen Entwicklungen vertraut zu machen, die allein schon durch die Veröffentlichungen des Frankfurter Verlegers Nikolaus Stein seit etwa 1610 zunehmend geläufig wurden.
Werke — a) Manuskripte (zumeist verm. autograph und in D-B überliefert; vgl. auch MGG2P und RISMonline): Repraesentatio harmoniaca conceptionis & nativitatis S. Joannis Baptistae […] modo pathetico sive recitativo distributa in duos actus, & sex scenas adiunctis quinque symphoniis loco intermedii (Soli, 8st. Chor, 2 Zinken, 3 Fl., 2 Vl., Va. bastarda, Fag., B. c.) – zu einem Geburtstag („in natalem diem“) Kurfürst Johann Schweikarts von Kronberg (zwischen 1619 und 1626, vermutlich 1623 zum 70.); D-B (Ms.; digital <> Hymnus SS. PP. Ambrosii & Augustini (Te Deum) (4 Chöre, Instr., B. c.) sowie Sacro die assumptionis B. Mariae virginis. Dialogus Harmoniacus: Intravit Jesus in quoddam castellum (2 C, B, Instr., B. c.) – 1626 Kurfürst Georg Friedrich von Greiffenclau am Tag seiner Wahl zugeeignet <> Georgi miles Christi (2 C, 2 A, 2 T, 2 B, B. c.) – zu einem der Geburtstage Kurfürst Georg Friedrichs (zwischen 1626 und 1629) <> Due Soneti Nel Santissimo Nascimento di nostro Signore e Redemptore Giesu Christo (3 C, 2 T, B, B. c.; zwischen 1626 und 1629) <> Psalmus LXXXVIII („Misericordias Domini“; C, A, T, B, Instr., B. c.) <> Psalmus CXXXIII („Ecce, nunc benedicite Dominum“; 2 C, 2 A, T, Instr., B. c.) <> Angele Dei (C, B. c.) sowie Fit porta Christi (C, A, T, B, B. c.); A-KR <> gedruckt in Sammelwerken: Salve lux mundi (A, T, B, B. c.), in: Promptuarii musici […] pars altera, hrsg. von Johann Donfrid, Straßburg 1623, Nr. 178 <> Singbeispiele und -übungen, in: Johann Andreas Herbst, Musica practica, Nürnberg 1642, S. 5–15 <> zweifelhaft: Dialogo („Domine, puer meus iacet in domo“; A, B, Instr., B. c.) und Concerto („Nobis natus ex intacta virgine“; 2 C, A, 2 T, B, Instr., B. c.); D-B (Ms.)
Quellen — KB Mainz (St. Emmeran) <> Johann Friedrich Matenesius, De parentela, electione, coronatione Ferdinandi II Ungariae et Bohemicae regis […] in regem Romanorum, libri tres, Köln: von Kempen 1621 (digital)
Literatur — Peter Epstein, Das Musikwesen der Stadt Frankfurt am Main zur Zeit des Johann Andreas Herbst von 1623 bis 1666, Phil. Diss. Breslau 1923 <> Johannes Vleugels, Zur Pflege der katholischen Kirchenmusik in Württemberg von 1500–1650 mit besonderer Berücksichtigung der Institutionen, Kassel 1930 <> Gottron 1956 <> Ernst Fritz Schmid, Musik an den schwäbischen Zollernhöfen der Renaissance, Kassel 1962 <> Georg Brunner, Biagio Marini: Die Revolution in der Instrumentalmusik, Schrobenhausen 1997 <> Günther Massenkeil, Musikalisch Ungewöhnliches im alten Mainz: die geistlichen Werke von Daniel Bollius (ca. 1590–ca. 1642), in: Festschrift Christoph-Hellmut Mahling zum 65. Geburtstag, hrsg. von Axel Beer, Kristina Pfarr und Wolfgang Ruf, Bd. 2, Tutzing 1997, S. 817–829 <> Hans-Joachim Koppitz, Die kaiserlichen Druckprivilegien im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Wiesbaden 2008 <> Greta Konradt (Ernst Fritz Schmid), Art. Bollius, Daniel, in: MGG2P (2000)
Abbildung: Titel der Repraesentatio harmoniaca; D-B
Arno Paduch