Salomon (Familie)
(1) Willy * Frankfurt/M. 13. Apr. 1891 | † London 3. Sept. 1958; Pianist, Musiklehrer, Komponist, Musikwissenschaftler
(2) Hedwig (auch Hede) * Frankfurt/M. 17. Mai 1900 | † Auschwitz 20. Aug. 1942; Schwester von (1), Pianistin, Musiklehrerin
(1) Nach dem Besuch des Frankfurter Realgymnasiums studierte Willy Salomon, Sohn des jüdischen Kaufmanns Max Salomon und seiner Frau Laura geb. Löwenthal, von 1908 bis 1916 am Hoch’schen Konservatorium Klavier bei Alfred Höhn, Komposition und Kontrapunkt bei Iwan Knorr, Bernhard Sekles und (für ein Semester) bei Waldemar von Baußnern sowie Partiturspiel bei Carl Breidenstein und Dirigieren bei Fritz Bassermann. Im Rahmen der Prüfungskonzerte kamen mehrere Kompositionen von ihm zur Aufführung. 1913 bestand er als Lehrer an der angegliederten Seminarschule die Prüfung 2. Grades. Im Anschluss an seine Ausbildung war Salomon seit 1916 Lehrer für Korrepetition und Opernensemble, später auch für Harmonielehre und Gehörbildung sowie Begleitung. Zu seinen Schüler*innen gehörte die spätere Opernsängerin Erna Emilie Alwine Friederike Ackerknecht (auch Erna Recka; * Offenbach 14. März 1898 | † nach 1950), mit der er von 1926 bis zur Scheidung 1929 verheiratet war. Zahlreiche Zeitungsanzeigen und -besprechungen von Vereinskonzerten, Liederabenden und dergleichen seit 1915 belegen, dass Salomon – insbesondere innerhalb der jüdischen Gemeinde – einer der gefragtesten Klavierbegleiter der Stadt war. Weiterhin studierte er an der Frankfurter Universität, wo er 1925 mit einer stilkritischen Untersuchung über Hugo Wolf als Liedkomponist promovierte. Das Thema stellte er 1927 bei einer Veranstaltung der Ortsgruppe der Deutschen Musikgesellschaft vor, wobei Friedrich Gennrich für die ZfMw zusammenfasste, er „ging[e] von dem Gedanken aus, daß der historischen Betrachtungsweise eine stilkritische gegenüberzustellen, der ‚stilistischen Biographie‘ eines Meisters Gleichberechtigung mit der historischen, ja ihr sogar […] ein Vorrang vor dieser einzuräumen sei“ (ZfMw Nr. 11/12 (Aug./Sept.) 1927, S. 653). Diesen Ansatz nutze Salomon auch für Kurse und Vorträge im Bereich der Erwachsenenbildung, etwa bei Konzerteinführungen oder in dem von Sekles 1926/27 begründeten Konservatorium für Musikhörende (am Hoch’schen Kons.), wo er u. a. „Besprechung und Vorspielen der wichtigsten öffentlich zu Gehör gebrachten Werke vor und nach der Aufführung“ anbot (zit. nach Cahn 1979, S. 260). Nachdem Salomon aufgrund seiner jüdischen Abstammung 1933 zusammen mit weiteren Kollegen vom Konservatorium entlassen wurde, setzte er dieses Engagement fort, indem er im Rahmen des Jüdischen Lehrhauses Vorlesungen hielt (1936 über den „Stil der Hochromantik in der Musik (Liszt-Bruckner)“, 1938 über das „Neuere Kunstlied“). Daneben erteilte er privaten Klavier-, Kompositions- und Korrepetitionsunterricht und übte weiterhin seine pianistische Tätigkeit als Begleiter wie auch Solist aus, beispielsweise bei mehreren (auch außerhalb Frankfurts) gemeinsam mit Alice Rosenbaum gegebenen Klavierabenden auf zwei Flügeln. 1935 gehörte Salomon (neben Benno Ziegler, Rosy Geiger Kullmann, Hedwig Bergmann und Max Wolff) einem Arbeitsausschuss jüdischer Tonkünstler an, die, unterstützt von Hans Assenheim, zweiwöchig stattfindende Mittwochskonzerte organisierten – darunter auch solche mit Werken in Frankfurt lebender jüdischer Komponisten. Bis Anfang 1938 fanden in dieser Reihe vierzig Konzerte statt. Salomon war außerdem Vorstandsmitglied der Ortsgruppe des Verbundes nationaldeutscher Juden. Ende 1938 wurde er nach Buchenwald deportiert, konnte aber 1939 nach England emigrieren, wo er noch im Dezember desselben Jahres eine Opernaufführung des Freien Deutschen Kulturbundes leitete, für den er 1943 auch musikwissenschaftliche Vorträge hielt. Martini (S. 240) zufolge war er nach Kriegsbeginn zunächst in London interniert und bemühte sich innerhalb des Lagers mit weiteren Musikern eine musikalische Ausbildungsstätte einzurichten. Über die Dauer seiner Internierung ist nichts Näheres bekannt. In London setzte Salomon wiederum seine Klavierbegleitertätigkeit (bis mind. 1957) fort und schloss die Ehe mit seiner zweiten Frau Blanche geb. Müller.
Werke — ungedruckte Werke (soweit nicht anders angegeben, bezieht sich die Datumsangabe auf Aufführungen im Konservatorium und ist den Jahresberichten entnommen; spätere Werke und deren Aufführungen sind der Frankfurter Presse entnommen): Walzersuite (Kl. 4ms; 15. Juni 1910) <> Zwei Lieder (Sst., Kl.; 30. Mai 1911) <> Variationen über ein schottisches Volkslied (Kl.; 30. Mai 1911) <> Serenade (Streichorch.; 7. Juni 1912) <> Drei Lieder (Zwei Falter, Spanisches Volksliedchen, Mädchenlied; Sst., Kl.; 4. Nov. 1912) <> Serenade G-Dur (Walzer. Gavotte. Allegretto Grazioso; Orch.; 14. März 1913) <> Marienlied (S, Hrf.; 2., 5. Juni 1913) <> Vier Lieder (Sst., Kl.; 5. Juni 1913) <> Sonate (Kl., Vc.; 26. Apr., 5. Juni 1913) <> Sonate (Kl., Vl.; 23. Mai 1914) <> Drei Frauenchöre (An die Waldvögel, Lied der Pilger, Der kurze Frühling; 23. Mai 1914) <> Drei Lieder (Sst., Kl.; 23. Mai 1914) <> Drei Lieder (Sst., Kl.; 8. Juni 1915, ggf. identisch mit obigen) <> Bunte Reihe. Walzer (Orch. bzw. als Arr. für 2 Kl.; 8. Juni 1915) <> Vier Märchenlieder (Im Volkston, Mädchenfrühling, Die Verliebte, Die Verschmähte; Sst., Kl.; 21. Dez. 1915) <> Drei Lieder (Im Volkston, Der Wanderer an den Bach, Tanzlied; Fch.; 19. Juni 1916) <> Das Kaddisch des Barditzewer Rebbe arr. (Besetzung nicht genannt; aufgef. bei Konzert J. Alters 1934) <> mehrere Walzer (2 Kl.; aufgef. bei Klavierabend mit Alice Rosenbaum 17. Nov. 1934) <> Spanische Lieder (4 Sst.; aufgef. bei Konzert der Jüdischen Tonkünstler Frankfurts 2. Febr. 1935) <> Präludium und Fuge in Fis-Moll (2 Kl.; aufgef. bei Klavierabend mit Alice Rosenbaum 8. Dez. 1935) <> Johann Strauß, Schatzwalzer arr. (2 Kl.; aufgef. ebd.) <> Zwei Lieder (Jüdisches Wiegenlied, Traum; aufgef. bei Benefizkonzert in der Westend-Synagoge, Mai 1938) <> gedruckte Werke: Fünf Gedichte (Devotionale, Mädchenlied, Liebe, Faunsflötenlied, Freundliche Vision; Text Otto Jul. Bierbaum; Sst., Kl.) op. 3, München: Wunderhorn-Verlag [1914]; D-B, D-Fh, D-Mbs <> Appell „Ich hört’ viel Dichter klagen“ (Sst., Kl.), Frankfurt: Baselt [1916]; D-B <> Zuschreibung unsicher: Valse enivrante (Kl.), Kœbenhavn: Peder Friis 1919; DK-Kk <> Arrangements von Horn- und Oboenwerken Mozarts, London: Boosey & Hawkes, 1947–48 <> Schriften: Hugo Wolf als Liedkomponist. Eine stilkritische Untersuchung (Mschr., 296 S.), Frankfurt Phil. Diss. v. 30. März 1925; D-B, D-F, D-KNu, F-Sn
Quellen und Referenzwerke — Standesamtsregister Frankfurt <> Adressbücher Frankfurt <> Akten in D-Fsa (Best. S2 Sign. 4.219), D-WIhha (Best. 518 Nr. 20436; Best. 519/3 Nr. 15305), im Universitätsarchiv Frankfurt (Best. 604 Nr. 2345), in GB-Lna (Naturalisation Certificate HO 334/224/49358) <> Eintrag zu seinem Testament im National Probate Calendar 1958, S. 18 <> Jahresberichte des Hoch’schen Konservatoriums <> ZfM Nr. 7/8 (Juli/Aug.) 1925, S. 474; ZfMw Nr. 11/12 (Aug./Sept.) 1927, S. 653; Signale für die musikalische Welt 9. März 1927 und zahlreiche Nennungen in der regionalen Tages- und jüdischen Presse, u. a. Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt bzw. Jüdisches Gemeindeblatt (Frankfurt) passim
Literatur und Referenzwerke — MüllerDML <> Cahn 1979 <> Jutta Raab Hansen, NS-verfolgte Musiker in England. Spuren deutscher und österreichischer Flüchtlinge in der britischen Musikkultur, Hamburg 1996, S. 456 <> Rosy Geiger-Kullmann, Musik als Wiederstandsform, in: Elfi Pracht (Bearb.), Frankfurter jüdische Erinnerungen. Ein Lesebuch zur Sozialgeschichte 1864–1951, Sigmaringen 1997, S. 233–239 <> Art. Recka, Erna , in: Kutsch/Riemens <> Martini 2010 <> Art. Willy Salomon, in LexM (online)
Abbildung 1: Inserat Salomons, in: Frankfurter Israelitischen Gemeindeblatt Nr. 9 (Mai) 1933
(2) Hedwig Salomon studierte von 1917 bis 1920 am Hoch’schen Konservatorium, wo Marie Burnitz (Vl.) und Bernhard Sekles (Komp., Kontrapunkt) ihre Lehrer waren. Später erteilte sie dort, bis sie gemeinsam mit ihrem Bruder und weiteren jüdischen Kollegen am 31. Aug. 1933 entlassen wurde – Unterricht in Klavierbegleitung und Improvisation für Rhythmische Gymnastik. Daneben gehörte sie 1931/32 dem Neuen Theater an, wo sie für die musikalische Einstudierung und teils auch Leitung mehrerer Lustspiele, darunter das von Moritz Bertuch verfasste Ist das nicht nett von Colette?, verantwortlich war. 1933 emigrierte Hedwig Salomon nach Frankreich, wo sie in Gefangenschaft geriet und in den Lagern in Gurs und Drancy interniert war, bevor sie im August 1942 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde. Ein Stolperstein sowie die Gedenktafel der Städtischen Bühnen Frankfurt am Main erinnern an sie.
Quellen — Standesamtsregister Frankfurt <> Jahresberichte des Hoch’schen Konservatoriums
Literatur und Referenzwerke — Liste von Deportierten aus Frankreich, Le Mémorial de la déportation des juifs de France, hrsg. von Béate und Serge Klarsfeld, Paris 1978 <> Cahn 1979 <> Thomas Siedhoff, Das Neue Theater in Frankfurt am Main 1911–1935. Versuch der systematischen Würdigung eines Theaterbetriebs Frankfurt/M. 1985 (Studien zur Frankfurter Geschichte 19) <> Art. Hede Salomon, in LexM (online) <> Martini 2010 <> Heike Drummer/Jutta Zwilling, Das französische Exil rettet die Pianistin Hedwig Salomon (1900–1942) nicht, in: Frankfurt am Main 1933–1945 (Internetportal des ISG Frankfurt/M.), 2010 (online) <> Art. Salomon, Hedwig, in: Stolperstein-Biographien im Westend (online)
Abbildung 2: Stolperstein für Hedwig Salomon, Leerbachstraße 14, Frankfurt/M.; aufgenommen von Kristina Krämer im September 2022
Kristina Krämer