schneiderfam


(1) Christian get. Neudorf (heute Martinsthal, zu Eltville) 9. Okt. 1749 | † Hallgarten 18. März 1812; Lehrer, Kantor, Komponist

(2) Karl Joseph get. Hallgarten 12. Nov. 1779 | † Rüdesheim 18. Jan. 1864; Sohn von (1), Lehrer, Organist, Vereinsdirigent

(3) Valentin get. Hallgarten 10. Sept. 1784 | † ebd. 20. Juli 1846; Sohn von (1), Musiker

(4) Ludwig * Rüdesheim 15. Aug. 1806 | † Eibingen 22. [nicht 23.] Jan. 1864; Sohn von (2), Pfarrer, Theologe

(5) Peter Joseph * Rüdesheim 23. Januar 1810 | † Dijon 25. Sept. 1836; Sohn von (2), Musiker, Schriftsteller, Hobbymediziner


(1)


Christian Schneider schloss am 7. Sept. 1769 sein Studium an der Universität Mainz (baccalaureus philosophiae) ab, das er als „pauper“ aufgenommen hatte. Anschließend wurde er Lehrer („ludirector“) an der Schule in Hallgarten und heiratete als solcher 1772 Magdalena geb. Wollmerscheid (get. Hallgarten 20. März 1748 | † ebd. 22. März 1799). Seinem Enkel Peter Joseph (5) zufolge war Schneider auf musikalischem Gebiet Autodidakt, hatte während seines Studiums Gelegenheit, die Mainzer Hofkapelle zu hören, und soll mit seiner Familie das Kirchen- und Kammerorchester der Abtei Eberbach unterstützt und in Hallgarten ein kleines lateinisches Collegium sowie „eine ständige Kirchen- und ziemlich großartige Symphoniemusik“ unterhalten haben (vgl. Die Musik und Poesie (s. unter (5)), Bd. 2, S. 320f. (Anm. 10)). Aus seiner Ehe gingen zwölf Kinder hervor, von denen zehn das Kindesalter überlebten.

Werke — nicht überliefert; Peter Joseph Schneider nennt „Instrumental-Sachen und Harmonie-Stücke; mehrere Symphonien, Antiphonen, Vespern und lateinische Messen“

Quellen — KB Neudorf (St. Martin); KB Hallgarten (Mariä Himmelfahrt) <> Verzeichnis der Studierenden der alten Universität Mainz, hrsg. von Josef Benzing und Alois Gertsch, Wiesbaden 1979 (Beiträge zur Geschichte der Universität Mainz 13) <> Schulakte Hallgarten; D-WIhha (Best. 108 Nr. 2755) <> Peter Joseph Schneider, Die Musik und Poesie (s. u.)


(2)


Karl Joseph Schneider war nach Absolvierung des Lehrerseminars in Idstein (dort war er Schüler Johann Christian Herrmanns) kurzzeitig als Lehrer in Assmannshausen tätig, wo er seine spätere Ehefrau Elisabetha geb. Lill (get. Assmannshausen 13. Sept. 1785 | † Rüdesheim 17. Jan. 1848) kennenlernte. Wann genau Schneider an die Elementarschule in Rüdesheim versetzt wurde, ist ungewiss. Bei der Heirat in Assmannshausen am 16. Sept. 1805 wird er bereits als Rüdesheimer Bürger bezeichnet. Er leitete (seinem Sohn Peter Joseph (5) zufolge) seit etwa 1800 einen Vokal- und Instrumental-Musikverein, der sich aus Mitgliedern mehrerer Gesellschaftsschichten zusammensetzte und die ständige Kirchenmusik mitbesorgte. 1819 erhielt er als Nachfolger Peter Josef Hammerschlags (1767–1818) die Organisten-Stelle, auf der ihn nicht selten seine Söhne vertraten. Überhaupt muss das Familienleben stark musikalisch geprägt gewesen sein – der Sohn Peter Joseph erinnert: „Eine Idee von der Hausmusik mir zu machen, hatte ich Gelegenheit in Ueberfluß! Ein Streich-Quartett hatten wir im Hause. Der Vater spielte Bratsche, mein älterer Bruder [Ludwig (4)] Cello, der jüngere [Johann Anton (1810/11–1885)] die 2te Violine und ich die erste. Da war’s Quartett complet. Da meine Schwestern [Elisabetha (ca. 1816–1905), Anna Maria (1820–1908) und Helena (–1848)], wie sich’s von selbst versteht, auch musikalische Bildung genossen, so lag es schon in der Sache selbst, daß oft Gesang-Septetten, Quartetten mit Instrumentalbegleitung u. s. w., und dieß meist klassische Produkte der ersten Meister, zu Gehör gebracht wurden.“ (Die Musik und Poesie (s. unter (5)), Bd. 2, S. 346f.) An mehreren Stellen ist Schneider außerdem als Kaufmann bezeichnet, wobei bislang unklar ist, welcher Gestalt diese Tätigkeit war. Auch kümmerte er sich um den Weinbau der Pfarrei seines Sohnes Ludwig (4) in Eibingen. Schließlich ist den Erinnerungen des bereits zitierten Sohnes Peter Joseph noch zu entnehmen, dass er (der einzige) Schüler von Pater Edmund, Chor- und Musikdirektor in der Abtei Eberbach, gewesen sei und von Pater Albert eine „ächte Cremonenser Geige“ erhielt (wie oben, S. 317f.)

Werke — Für seinen Verein wird sich Schneider möglicherweise als Arrangeur betätigt haben; Kompositionen von ihm sind nicht bekannt.

Quellen und Literatur — KB Assmannshausen (Heilig Kreuz); KB Rüdesheim <> Briefe an Schott (10, 1824–1844); D-Mbs <> Peter Joseph Schneider, Die Musik und Poesie (s. u.) <> [Johann Philipp Schmelzeis], Blätter der Erinnerung an den besonders auch um die Verherrlichung der hl. Hildegardis und durch Förderung des Choralgesangs hochverdienten Ludwig Schneider, weiland Pfarrer zu Eibingen im Rheingau von seinem Dienstnachfolger, Mainz 1866, hier: S. 5f., 14, 35 <> Rolf Göttert, „Ene, dene, Dintenfaß …“ Schulen in Rüdesheim, in: Notizen aus dem Stadt-Archiv. Beiträge zur Rüdesheimer Stadtgeschichte Nr. 101 (1999)


(3)


Valentin Schneider kam als achtes von zwölf Kindern von Christian Schneider (1) zur Welt. Lediglich aufgrund seines Sterbeeintrags ist bekannt, dass er als (lediger) Musikus beruflich tätig war. Weitere Kenntnisse zu seiner Biographie fehlen.

Quellen — KB Hallgarten (Mariä Himmelfahrt)


(4)


Ludwig Schneider erhielt sowohl seine musikalische als auch einen Teil seine schulische Ausbildung durch seinen Vater (2). Daneben erteilten ihm Lehrer Joseph Schiedhering und Frühmesser Martin Schäfer elementaren und höheren Unterricht. Von 1818 bis 1819 bildete sich Schneider bei seinem Paten, dem Pfarrer Ludwig Schneider (get. Hallgarten 10. Juni 1775 | † Bingen 9. Jan. 1847, Sohn von (1)) in Großzimmern (bei Dieburg) weiter und besuchte anschließend bis 1826 die geistlichen Schulen am Bischöflichen Seminar in Mainz. Im November 1826 immatrikulierte er sich an der Bonner Universität, wo er ein Jahr katholische Theologie studierte, zudem auch Vorlesungen der philosophischen Fakultät besuchte und seine bereits reichen Sprachkenntnisse (Latein, Griechisch, Hebräisch, Französisch, Englisch) um das Arabische ergänzte. Das ihm von Prof. Georg Wilhelm Freytag (1788–1861) angetragene Angebot zur Ermöglichung einer Studienreise ins Morgenland und anschließende Anstellung als Dozent an seinem Lehrstuhl schlug Schneider aus, da er keine wissenschaftliche, sondern eine geistliche Laufbahn einzuschlagen plante. Am 25. Juli 1828 wurde er in Limburg zum Priester geweiht und trat zum 1. Sept. eine Stelle als Stadtkaplan in Wiesbaden an. Wenige Jahre später notierte sein Bruder Peter Joseph (5) über die musikalischen Fähigkeiten Ludwigs: „Er hält sich zur Bachischen Schule, daher seine Fugenmanie auf der Orgel und dem Flügel. Als Violin- und Cellospieler hat er früher manches Quartett completirt. Seine Force besteht meist in der freien Phantasie und dem prima vista-Spiel; was er componirte und arrangirte, war, früher wenigstens, für meines Vaters musikalischen Verein und für unsere Hausmusik; und später, für seine Kirche, als er noch Stadtcaplan zu Wiesbaden war.“ (Musik und Poesie (s. unter (5)), Bd. 2, S. 336f. (Anm. 25)) Außerdem kenne er kaum jemanden, der, „so wie er, die innerste Verwandtschaft der Musik mit der Theologie als förmlich unerschütterliches Prinzip ihrer Kunst aufgestellt“ hat (ebd.).

Am 1. Juli 1833 wurde Schneider Pfarrer in Neudorf (heute Martinsthal, Eltville) und tauschte diese Position zum 1. Dez. 1840 mit Franz Xaver Ludwig Hartig, indem er dessen Pfarrstelle in Eibingen (heute Ortsteil von Rüdesheim) übernahm. Dies erlaubte ihm fast tägliche Besuche seines nahgelegenen Elternhauses, zumal sein Vater (2) sich um den zur Pfarrei gehörenden Weinbau und eine seiner Schwestern sich um die anlassgemäße Einrichtung und Reinigung der Kirche kümmerte. Während seiner Amtszeit gelang es ihm „alles Tanzen und damit am gründlichsten die Unarten desselben aus seiner Gemeinde zu entfernen“ (Schmelzeis, S. 47) sowie die Weinlese an Sonn- und Feiertagen zur Ausnahme zu erklären. Schneider beschäftigte sich intensiv mit der Biographie und den in Eibingen vorhandenen Reliquien Hildegard von Bingens, deren Echtheit er durch den Limburger Bischof Peter Josef Blum offiziell anerkennen ließ. Am 17. Sept. 1857 wurden die Reliquien in einer feierlichen Zeremonie in einem durch Mittel Schneiders zu diesem Zwecke neu errichteten Altar untergebracht. In musikalischer Hinsicht setzte er sich in seinem Amt zunächst dafür ein, allen „harmonisch-mensurirten Gesang aus der Kirche zu verbannen und daß in ihr nur der ‚cantus firmus,‘ der uralte Gregorianische Gesang […] am Platze sei.“ (Schmelzeis, S. 61) Dennoch förderte er zuletzt auch deutschen Gesang. Schneider, der den örtlichen Religionsunterricht übernommen hatte (einer seiner Lehrerkollegen war wenige Jahre Karl Severin Meister), brachte es dahin, dass „die gewöhnlichen Leute, welche am Tag den schwersten Feldarbeiten obzuliegen haben, in den Abend- und Nachtstunden durch ununterbrochene Belehrung und Uebung […] vielstimmige Gesangstücke ausführten, welche volle Bewunderung ärnteten.“ (Schmelzeis, S. 60f.)

In Rüdesheim erinnert die nach ihm benannte Ludwig-Schneider-Straße an sein Leben und Wirken.

Werke — 24 vielstimmige (meist 8st.) Kompositionen über bekannte lateinische Kirchenlieder, kontrapunktisch bearbeitet; ungedruckt (1841–49 in seiner Kirche aufgeführt) <> Andachts- und Gebetstexte: Andacht zu Ehren der heil. Jungfrauen und Abtissin Hildegardis, deren Leib in der Pfarrkirche zu Eibingen ruht, Rüdesheim: Fischer [1857]; D-Eu, D-KNd, D-MZs, D-TRp, D-WIl, F-Sn <> Die heilige Hildegardis, Jungfrau und Abtissin und Heilige Jungfrau und Abtissin Hildegardis, Stifterin der Klöster Rupertsberg und Eibingen, bitte Gott um Erleuchtung der Geistesblinden, Mainz: Haas [ca. 1861]; D-WIl <> postum herausgegeben: Gregorianische Choralgesänge für die Hauptfeste des Kirchenjahres. Ausgewählt und für die Orgel harmonisirt von L. Schneider […], hrsg. von Franz Jososeph Mayer und Erwin Schneider („zum Besten des Bischöflichen Knaben-Seminars zu Hadamar“), Frankfurt: G. Hamacher (in Komm.; Druck Mainz: Franz Sausen) 1866; GB-Lbl (digital) <> Lateinische Choralgesänge für die Hauptfeste des Kirchenjahres. Aus den Mechelner Choralbüchern in der Schreibeweise des sel. Pfarrers Schneider zu Eibingen in Noten und Ziffern zusammengestellt von Franz Joseph Mayer, Frankfurt/M.: G. Hamacher (in Komm.; Druck Mainz: Franz Sausen) 1867; D-F (digital), D-MZu, D-WIl

Quellen — KB Eibingen (St. Hildegard) <> Brief an Heinrich Oberhoffer, abgedruckt (nebst weiteren Angaben) in: Cäcilia (Luxemburg) Nr. 3 (März) 1864, S. 26f. <> Studentenakte; D-WIhha (Best. 211, Nr. 13118 Dep.) <> Akte (betr. Beschimpfung des ev. Glaubens durch Schneider 1844); D-WIhha (Best. 211 Nr. 830) <> Lehrerakte; D-WIhha (Best. 405 Nr. 16053) <> Nachlassakte; D-WIhha (Best. 238 Nr. 869) <> Verzeichniß der Studirenden auf der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität zu Bonn 1826/27–1827 <> Staats- und Adreß-Handbuch des Herzogthums Nassau <> Peter Joseph Schneider, Die Musik und Poesie (s. u.) <> Peter Joseph Blum, Predigt auf die Gedächtnißfeier der heiligen Hildegard bei Gelegenheit der Erhebung und Uebertragung ihrer Reliquien. Gehalten in der Kirche zu Eibingen am 17. September 1857, Mainz 1857 <> Johann Baptist Heinrich, Predigt über die Verehrung der heiligen Reliquien, gehalten bei der Uebertragung der Reliquien der heil. Hildegardis zu Eibingen am 17. September 1857, Mainz: Kirchheim 1857 <> [Johann Philipp Schmelzeis], Blätter der Erinnerung an den besonders auch um die Verherrlichung der hl. Hildegardis und durch Förderung des Choralgesangs hochverdienten Ludwig Schneider, weiland Pfarrer zu Eibingen im Rheingau von seinem Dienstnachfolger, Mainz 1866 <> Ders., Das Leben und Wirken der Heiligen Hildegardis nach den Quellen dargestellt […] Nebst einem Anhang Hildegard’scher Lieder mit ihren Melodien, Freiburg 1879 (unter Verwendung von Vorarbeiten Schneiders) <> Euterpe (Leipzig) Nr. 5 1867; Cäcilia (Luxemburg) Nr. 12 (Dez.) 1864, S. 115f.

Referenzwerke und Literatur — Johannes Zaun, Beiträge zur Geschichte des Landcapitels Rheingau und seiner vierundzwanzig Pfarreien, Wiesbaden 1879, S. 104, 300, 302 <> Art. Schneider, Ludwig, in: Lexikon der kirchlichen Tonkunst, hrsg. von Utto Kornmüller, 2. Aufl., Regensburg 1891–1895 <> Karl Walter, Beiträge zur Geschichte der Choralbegleitung, in: KmJb (1900), S. 78–87 (die Passagen zu Schneiders Biographie weitgehend wörtlich von Schmelzeis übernommen) <> Werner Lauter, Ludwig Schneider (1806–1864). Pfarrer von Eibingen und Hildegardforscher, in: Rheingau-Forum 3 (1994), Heft 1, S. 24–28 <> Jennifer Bain, Hildegard of Bingen and Musical Reception. The Modern Revival of a Medieval Composer, Cambridge 2015 (dort weitere Quellen und Literatur)

Abbildung 1: Titelseite zu Gregorianische Choralgesänge für die Hauptfeste des Kirchenjahres 1866, postum mit herausgegeben von seinem Neffen Erwin Schneider; GB-Lbl


(5)


Peter Joseph Schneider wuchs in Rüdesheim in einem musikalischen Umfeld auf, das ihm eine entsprechend umfangreiche Ausbildung angedeihen ließ. Über seine Jugend geben ausschließlich autobiographische Angaben Auskunft (vgl. Musik und Poesie Bd. 2, S. 315–358), deren Wahrheitsgehalt kaum überprüfbar ist. Ihnen zufolge erteilten ihm sein Vater (2) und Bruder Ludwig (4) seit seinem vierten Lebensjahr Klavierunterricht, woneben er auch im Gesang sowie auf Flöte und Violine ausgebildet wurde und in jungen Jahren bereits in der Kirche als Violinist, Chorknabe und Organist (in Vertretung seines Vaters, seit 1819) Erfahrung sammelte. Als „musikalische Wiedergeburt“ (ebd., S. 327), die sich fruchtbar auf seine weiteren Studien in diesem Bereich auswirkte, empfand er die Aufführung von Benedikt Kölges’ Friedens-Kantate Vertrauen auf Gott im Sommer 1819. Schneider erlernte etliche weitere Instrumente autodidaktisch, wie auch im Alter von kaum 12 Jahren erste Arrangements und Kompositionen vor dem Hintergrund fehlenden Materials zum gemeinsamen Musizieren mit seinen „musikalisch unmündigen Freunden“ (ebd., S. 339) notgedrungen entstanden. Während seiner vierjährigen Gymnasialzeit in Bingen kehrte er regelmäßig nach Rüdesheim zurück und übernahm dort gemeinsam mit seinem Vater die Leitung eines neugegründeten Instrumentalvereins und die Durchführung der notwendigen Unterrichtsstunden für die teils wenig erfahrenen, aus sämtlichen Gesellschaftsschichten stammenden Mitglieder. Nach Abschluss des Gymnasiums arbeitete Peter Joseph Schneider als Vertretung eines erkrankten Kaufmanns in Mainz, was ihm den regelmäßigen Zugang zu allerlei Musik ermöglichte. Dazu schreibt er: „Als ich 14 Tage im Hause war, starb der Alte, und ich mußte dableiben. Recht gerne! Am Tage besorgte ich, was mir auf dem Comtoire[!], im Laden, in dem Waarenlager u. s. w. zukam, und am Abende ging’s in das Concert oder in die Oper, oder zu sonst einer musikalischen Aufführung; Donnerstags und Freitags Abend (6 Uhr) zur Harmonie in der Anlage oder vor’s Münsterthor. Ach! welcher Genuß!“ (ebd., S. 343). Nach einem Jahr verließ er Mainz und lebte wieder in Rüdesheim, wo er solange an der Seite seiner Familie seine früheren musikalischen Tätigkeiten bei Instrumentalverein und Kirche fortsetzte, bis er im Herbst 1829 sein Studium der Philosophie an der Bonner Universität aufnahm. Dieses schloss er 1832 mit Promotion zum Dr. phil. ab.

Noch als Studiosus hatte er (so seine Ausführungen S. 354–356; vgl. oben) bereits einen kleinen akademischen Chor und einen von ihm mitgegründeten musikalisch-deklamatorischen Verein geleitet sowie auf Nachfrage seiner Kommilitonen und mit Erlaubnis des Universitätsdirektors für zwei Semester private Vorlesungen zu musikalischen und historischen Themen gehalten. Die von ihm für die rund 150 angemeldeten Interessenten zusammengestellten und privat gedruckten Handbücher zu musikalischer Grammatik und griechischer Musik (s. Werke) lassen sich nicht nachweisen. Seit 1832 lebte Schneider als Schriftsteller in Bonn-Poppelsdorf. Sein literarisches Hauptwerk, eine Musikalisch-kritische Bibliothek, benannt nach dem Forkel’schen Vorbild und bestehend aus rund einem halben Dutzend Bände, kündigte er 1833 öffentlich an und nahm hinsichtlich der Drucklegung Kontakt zu Schott in Mainz auf. Dem Verlag gegenüber beschrieb er es als komplementäres Gegenstück zu Gottfried Webers Theorie der Tonsetzkunst. Eine Inverlagnahme in Mainz kam nicht zustande und gelang ihm auch andernorts nicht, was ihn jedoch nicht davon abhielt, Querverweise auf einzelne Bände und Seiten derBibliothek in seine zwischenzeitlich – gleichsam als eigenständige Auskopplungen daraus – publizierten Schriften einzubauen, in der Hoffnung, auf diesem Weg doch noch einen Verleger für sie zu finden (vgl. wie oben, S. 377–380). Dass er, wie er schreibt (Bonner Wochenblatt 22. Sept. 1833), Mitarbeiter der bei Schott erschienenen Zeitschrift Caecilia war, ließ sich bislang nicht zweifelsfrei belegen.

In seinen Nebenstunden beschäftigte sich Schneider mit Medizin, was im Praktischen darin mündete, dass er 1834/35 als Schüler des Prof. Robinson aus Metz begann, Stotternde zu behandeln. Im Mai 1835 zeigte er an, nun auch Sprachunfähige und Stumme (nicht aber Taubstumme) heilen zu können, nachdem er bereits 96 Stotternde kuriert hatte (Kölnische Zeitung 20. Mai 1835). Zusammen mit diversen publizierten Attesten und Forderungen an die Presse, die Information zu streuen (unterzeichnet u. a. von Bernhard Hundeshagen), sicherte dies ihm gewisse mediale Aufmerksamkeit, die ihn auch auf Reisen begleitete. Dass zugleich der studierte Jurist und mittellose Schriftsteller Karl Rittinghausen (1796?–1838) auf ihn aufmerksam wurde, sollte sich als folgenschwer erweisen. Dieser publizierte zunächst anonyme Schmähartikel gegen Schneider und nahm anschließend Kontakt mit ihm auf, um diesen bei der Verifizierung seiner Methode zu unterstützen. Während einer gemeinsamen Reise durch Belgien und Frankreich starb Schneider nach mehreren Tagen des Unwohlseins in Dijon. Rittinghausen, der ihn zunächst nach Anweisung eines konsultierten Homöopathen versorgt hatte, war unterdessen abgereist, angeblich um Schneiders Bruder Ludwig (4) in Neudorf zu informieren, tauchte allerdings in Brüssel auf (und mit ihm möglicherweise die verschwundene Taschenuhr Schneiders). Durch bald aufgekommene Gerüchte sah sich der Vater Karl Joseph S. veranlasst, nach Dijon zu schreiben, wo am 5. Juni 1837 der Leichnam Schneiders exhumiert und obduziert wurde, was als Todesursache eine Vergiftung mit Blei- und Kupferpräparaten ergab (wobei der Fachkundige Mathieu Orfila eine Typhus-Infektion als Ursache für die Funde vermutete). Der verdächtigte Rittinghausen wurde nach Dijon ausgeliefert, stand ab dem 8. Aug. 1838 vor dem dortigen Assisengericht und wurde vor Ende des Prozesses am 10. Aug. erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Das Motiv der Eifersucht soll für die ihm zur Last gelegte Tat entscheidend gewesen sein. So hatte Schneider 1835 durch ihn die aus wohlhabendem Elternhaus stammende Elise Wahlen in Köln kennengelernt, mit der er regelmäßig gemeinsam musizierte und sich Anfang Januar 1836 verlobte. Schneider, der u. a. Mitglied der Société homœopathique in Lüttich und des Hytropatischen Gesundheits-Vereins war, fand aufgrund seiner Todesursache als Exempel Eingang in medizinische Fachpublikationen.

Unser Schneider ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Mediziner Peter Joseph Schneider (1791–1871), dem zu diesem Zeitpunkt (Nov. 2024) in sämtlichen Bibliothekskatalogen die Schriften des hier behandelten irrtümlich zugeschrieben sind.

WerkeKompositionen: Es sind keine musikalischen Werke überliefert; Schneider nennt in Die Musik und Poesie pauschal Kammermusik (Quartette, Quintette, Septette), Instrumentalkompositionen für den Rüdesheimer Instrumentalverein, Harmoniemusik, Klarinettenkonzerte und Arrangements <> theoretisch praktische Mund-Harmonika-Schule (erfolglos Schott in Mainz angeboten und 1831 an Zimmermann zum Verlag übergeben); vgl. Die Musik und Poesie, Bd. 2, S. 357) <> Variationen (Kl. 4ms) (erfolglos Schott in Mainz angeboten und 1831 an Zimmermann zum Verlag übergeben); vgl. ebd. <> Schriften (Fundorte in Auswahl): Musikalische Grammatik, Selbstverlag? [ca. 1831/32]; vgl. Die Musik und Poesie, Bd. 2, S  356 <> Handbuch der Griechischen Musik, Selbstverlag? [ca. 1831/32]; vgl. Die Musik und Poesie, Bd. 2, S. 356 <> De litterarum graecarum et latinarum primordiis incrementis interitu, phil. Diss., Bonn: [s. n.] 1832; B-Br (digital) <> Aphorismen über Cholera morbus nach des Hippocrates Weise: nebst einem allgemeinen Remedium gegen die morböse und politische Cholera und Widerlegung aller Cholera-Schriften neuester Zeit, Bonn: Habicht 1832; D-MÜu <> Biblisch-geschichtliche Darstellung der hebräischen Musik […], Bonn: Dunst 1834; A-Wn (digital), A-Wu, D-B, D-Bbbf, D-Bjm, D-F (digital), D-HAu, D-HEms, D-Ju, D-KNd, D-LEm, D-OLl, D-LIBLd, D-Mu, D-ROu, D-Tu, D-TRp, D-WBB <> Die Musik und Poesie. Nach ihren Wirkungen historisch-kritisch dargestellt, oder: systematisch geordneter Versuch einer Zusammenstellung und möglichst richtigen Erklärung derselben, zugleich System einer medizinischen Musik. Ein unentbehrliches Handbuch für Medizin-Beflissene, Vorsteher der Irren-Heilanstalten, praktische Aerzte und unmusikalische Lehrer verschiedener Disciplinen, 2 Bde., Bonn: Carl Georgi 1835; A-Sum, A-Wmk, A-Wn (Bd. 1 und Bd. 2 digital), D-Au, D-B, D-Bim, D-DS, D-F, D-Gl, D-HAu, D-HEms, D-KNd, D-LEm, D-LEu, D-Mbs (Bd. 1 digital), D-Rp, D-ROu, D-Sl, D-Tu, D-WIl <> Fragmente aus dem Tagebuche, betreffend meine Methode: „Menschen eines jeden Alters und Geschlechts von dem Uebel des Stotterns […] oder völligen Stummheit […] sanft, schnell, gewiß und dauerhaft zu befreien.“ Eine Schrift für Jedermann, Bonn: Selbstverlag (Köln: Renard und Dubyen in Komm.) 1835; B-Gu (digital), D-B, D-BNu, D-KA, D-TRs <> Aufsatz: Was dürfte dermalen musikalisch zeitgemäß sein in Bonn?, in: Beilage zum Bonner Wochenblatt Nr. 22 (15. März) 1835

Quellen und Referenzwerke — Zivilstandsregister Dijon <> Briefe an Robert Schumann (2, 1835); PL-Kj <> Briefe an Schott (3, 1833); D-B (verzeichnet unter „F. J. Schneider“) <> Eingabe an Großherzog Ludwig II. von Hessen; D-DSsa (Best. D 12, Nr. 42/11, digital) <> Verzeichniß der Studirenden auf der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität zu Bonn 1829/30–1831/32 <> Karl Rittinghausen, Neue schneider’sche Methode zur Heilung von Sprachgebrechen. Bulletin des zweiten vom D. K. Rittinghausen zur Prüfung der Methode veranstalteten öffentlichen Heilung, in: Kölnische Zeitung 24. Dez. 1835 <> Ders., […] Bulletin des dritten vom D. K. Rittinghausen zur Prüfung der Methode veranstalteten öffentlichen Heilung, in: Kölnische Zeitung 25. Dez. 1835 <> C. L—v, An seinen Federn erkennt man den Vogel, in: Kölnische Zeitung 24. Juni 1836 <> Mathieu Orfila, Consultation médico-légale. Suspicion d’empoisonnement par des sels de plomb et de cuivre. Affaire portée devant la cour d’Assises de la Côte d’or, in: Annales d’hygiène publique et de médecine légale 21 (1839), S. 127–148 <> Ders., Mémoire sur l’empoisonnement par les sels de plomb, in: ebd., S. 149–168 <> L. Koch, Justification de Charles Rittinghausen, Jurisconsulte, accusé d’empoisonnement sur la personne de Schneider, Docteur en philosophie, Dijon 1838 – dt. Ausgabe: Rechtfertigung des Rechtsgelehrten Carl Rittinghausen […], Hückeswagen 1839 <> Bonner Wochenblatt 22. Sept. 1833, 23. Febr. 1834, 19. Apr. 1835, 23. Apr. 1835, 10. Mai 1835, 14. Mai 1835, 24. Sept. 1835, 26. Aug. 1836 (Plagiatsvorwürfe seine Fragmente zum Stottern betreffend); Kölnische Zeitung 20. Mai 1835, 29. Juli 1835, 2. Aug. 1835, 5. Aug. 1835, 22. Dez. 1835, 23. Dez. 1835; AmZ 25. Nov. 1835; Allgemeiner Musikalischer Anzeiger 28. Apr. 1836; L’Indépendance Belge 7. Mai 1836; Le Constitutionnel (Paris) 20. Mai 1838; Le Spectateur (Dijon) 9. Aug. 1838; Le Droit (Paris) 12. Aug. 1838, 13. Aug. 1838; Westfälischer Merkur 28. Aug. 1838; Lenneper Kreisblatt 13. Apr. 1839 <> Art. Schneider (Peter Joseph 2), in: Medicinisches Schriftsteller-Lexicon der jetzt lebenden Verfasser, Bd. 32, hrsg. von Adolph Carl Peter Callisen, Hamburg 1844 <> Art. Schneider, Dr. Peter Joseph, in: Mendel/Reissmann

Abbildung 2: Titelseite zu Die Musik und Poesie 1835; A-Wn


Kristina Krämer

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