Ferdinand Hiller
HILLER, FERDINAND * Frankfurt/M. 24. Okt. 1811 | † Köln 11. Mai 1885; Komponist, Klaviervirtuose, Dirigent, Musikschriftsteller und -veranstalter
Als Sohn des jüdischen Kaufmanns Justus Hiller und seiner Ehefrau Regine wurde Ferdinands außergewöhnliches Talent von Ignaz Moscheles und Louis Spohr erkannt und gefördert, die regelmäßig (ersterer 1820 und 1823) im Hause Hiller in Frankfurt verkehrten. Von Aloys Schmitt erhielt der Knabe Klavierunterricht, sein erster Kompositionslehrer wurde Georg Jacob Vollweiler; zeitweilig fungierte auch Philipp Carl Hoffmann als sein Lehrer. Durch Schmitt wurde Hiller mit dem nur zwei Jahre älteren Felix Mendelssohn Bartholdy bekannt gemacht, der mit seiner Familie Frankfurt auf der Durchreise in die Schweiz passierte. Die beiden sollte eine jahrzehntelange, enge Freundschaft verbinden. Auf Empfehlung seiner Mentoren und auf Vermittlung Mendelssohns war der junge Hiller ab 1825 für zwei Jahre Schüler Johann Nepomuk Hummels in Weimar, wo er auch für Johann Wolfgang von Goethe spielte. 1827 begleitete er Hummel auf eine Konzertreise nach Wien, wo er die Bekanntschaft Franz Schuberts und Ludwig van Beethovens machte – Begegnungen, die den angehenden Komponisten nachhaltig prägen und die er später literarisch verarbeiten sollte. Nach der Rückreise über Dresden, Leipzig und Weimar verbrachte er ein Jahr im Haus seiner Eltern in Frankfurt, wo er einige kammermusikalische Werke und die nie zur Aufführung gekommene Oper Was Ihr wollt komponierte.
Den künstlerischen Durchbruch erzielte Hiller in Paris, wohin er im Oktober 1828 mit Empfehlungen seines Lehrers Hummel übergesiedelt war. Rasch fand er Eingang in die musikalisch-künstlerischen Zirkel, veranstaltete gemeinsam mit seiner Mutter, die ihn nach Paris begleitet hatte, beliebte Soireen und reüssierte zunächst als Pianist, bald auch als Komponist. Gefördert von Luigi Cherubini, Giacomo Meyerbeer und Gioacchino Rossini, verband ihn eine enge Freundschaft mit Frédéric Chopin, den er 1834 überredete, mit ihm das Niederrheinische Musikfest in Aachen zu besuchen. Nach acht Jahren in Paris, die sowohl für seine künstlerische Entwicklung als auch für den Aufbau eines weitverzweigten Netzwerks von großer Bedeutung waren, kehrte Hiller 1836 nach Frankfurt zurück, wo er vorübergehend in Vertretung des schwer erkrankten Johann Nepomuk Schelble die Leitung des Frankfurter Cäcilien-Vereins übernahm, den dieser 1818 nach dem Vorbild der Berliner Sing-Akademie gegründet hatte.
1837 brach Hiller nach Italien auf, wo er sich mit einigen Unterbrechungen bis 1842 aufhalten sollte. Einen durchschlagenden Erfolg erzielte Hiller hingegen 1840 mit seinem Oratorium Die Zerstörung Jerusalems (op. 24) in Leipzig, das er wenig später auch mit dem Frankfurter Cäcilien-Verein aufführte. Zurück in Italien heiratete er die polnische Sängerin Antolka Hogé (1820–1896), mit der er ab 1841 in Rom einen illustren Salon unterhielt, in dem auswärtige Künstler zum abendlichen Singen, Zeichnen und Debattieren zusammenkamen. Im Anschluss an eine Bildungsreise nach Neapel kehrte Hiller 1842 nach Frankfurt zurück und vertrat wenig später für rund eineinhalb Jahre Mendelssohn als Dirigent des Gewandhausorchesters in Leipzig. 1843 kam es zum Bruch zwischen den beiden Freunden, da sich Mendelssohn abwertend über Hillers Ehefrau Antolka geäußert hatte. In seinem 1874 veröffentlichen Buch Felix Mendelssohn Bartholdy. Briefe und Erinnerungen sollte sich Hiller jedoch differenziert und voller Wohlwollen und Melancholie seinem Freund äußern. 1844 zog er nach Dresden, wo er seine Freundschaft mit Clara und Robert Schumann vertiefte und mit Richard Wagner verkehrte. Zwar konnte er mit den vom ihm initiierten Abonnementkonzerten Erfolge erzielen, doch verhallten seine Opern Der Traum in der Christnacht (Libretto: Carl Gollmick) 1845 und Konradin (Libretto: Robert Reinick) 1847 ohne großes Echo. 1847 übersiedelte Hiller als Musikdirektor nach Düsseldorf, wo er die Chorgesellschaft und die Konzerte des Musikvereins leitete und zudem das Dirigat von Operninszenierungen im Düsseldorfer Stadttheater übernahm. Angesichts seiner vielfältigen Aufgaben wie Konzertverpflichtungen, die er auch nutzte, um eigene Werke zur Aufführung zu bringen, entstanden in dieser Zeit hauptsächlich kleinere Kompositionen. 1848 verbrachte er zwei Monate in seiner Heimatstadt Frankfurt, um an der Eröffnung des Parlaments und dessen ersten Sitzungen in der Paulskirche teilzunehmen. Nach drei arbeitsamen Jahren in Düsseldorf ereilte Hiller 1850 der Ruf zum städtischen Kapellmeister von Köln, wo er als Dirigent die Konzertgesellschaft und den Konzertchor leitete und als Direktor der wenige Jahre zuvor von Heinrich Dorn gegründeten Rheinischen Musikschule vorstand, die er nach Leipziger Vorbild etablierte. Für die zehn Mal jährlich stattfindenden Gürzenichkonzerte, deren Orchester sich im Wesentlichen aus den Sprösslingen der Musikschule und weiteren Musikern rekrutierte, griff Hiller auf sein internationales Netzwerk zurück und gewann führende Komponisten für die Kölner Konzerte, die hier eigene Werke dirigierten. Seit 1855 leitete Hiller zudem die alle drei Jahre in Köln stattfindenden Niederrheinischen Musikfeste, im Zuge derer er auch eigene Werke, etwa sein Oratorium Saul (op. 80) oder die Ouvertüre zu Faust (op. 32), dirigierte. 1862 brachte er in Wiesbaden Die Katakomben zur Uraufführung, die einzige seiner Opern, die auf mehreren Bühnen gespielt wurde.
Als Dirigent und Pianist gastierte er in zahlreichen Häusern Europas, von London über Paris bis nach St. Petersburg. Sein umfangreiches kompositorisches Œuvre umfasst Symphonien, Oratorien und Opern, Kammer-, Klaviermusik und Lieder und erschien in diversen deutschen, französischen und russischen Verlagen, darunter zahlreiche Werke beim Mainzer Schott-Verlag und einige bei André in Offenbach am Main. Neben den 24 Klavieretüden und seinem Oratorium Die Zerstörung Jerusalems erfreuten sich seine im Rahmen der Musikfeste aufgeführten Vokalwerke mit Orchester, darunter Die Loreley sowie seine beiden Symphonien, großer Beliebtheit. Durch seine umtriebigen Aktivitäten als Musikorganisator und nicht zuletzt durch sein musikpublizistisches Schaffen, etwa durch Beiträge in Zeitungen und zeitgenössische Musiker behandelnde Schriften wie die auf drei Bände angelegten Aus dem Tonleben unserer Zeit (Leipzig 1868), erlangte Hiller beträchtlichen Einfluss im deutschsprachigen Kulturraum. Hiller wurde mit zahlreichen Ehren versehen und 1875 durch die Verleihung des württembergischen Haus- und Verdienstordens der Krone in den persönlichen Adelsstand erhoben.
Werke —
Ferdinand Hillers umfangreiches Werk umfasst Symphonien, Oratorien und Opern, Kammer-, Klaviermusik und Lieder. Zur hs. Überlieferung s. RISMonline.
Bei Schott in Mainz sind unter anderem erschienen (vgl. auch Kat. Schott 1900): Duo (Kl.,Vl.) op. 58, [1854]; D-B (spätere Ausg. digital), D-F, D-Mbs (digital), F-Pn <> Zweite Sonate (Kl.) op. 59 [1861]; D-KNh, D-Sl, GB-Lbl <> Der 125e Psalm (T, Chor, Orch.) op. 60, [1855]; GB-Lbl (digital) <> Pater Noster und Benedictus (gem. Chor, Org./Kl.) op. 61, [1854]; D-F (digital), D-Mbs (digital) <> 3 Gedichte von Goethe (4st. Mch.) op. 63, [1856]; D-Bhm (digital) <> Vermischte Clavierstücke op. 66, 2 Hefte, [1857]; D-Mbs (1. Heft digital) <> Sinfonie in e-Moll (Orch.) op. 67, [1865]; D-F, F-Pn, GB-Lbl (digital), US-R (digital) <> 8 Leichte Clavierstücke op. 79, 2 Hefte, [1858]; D-Mbs (digital) <> Zweite Concert-Ouverture (Orch.) op. 101, [1863]; D-B (spätere Ausg. digital), D-Mbs (digital) <> Duett über Lützow’s wilde Jagd (2 Kl.) op. 108, [1871]; D-Mbs (digital) <> Der Deserteur Oper (KlA.) op. 120 (UA 1865 in Köln), [1865]; D-F, D-Mbs, F-Pn, GB-Lbl, US-CAe <> Es muß doch Frühling werden (4st. Mch., Orch.) op. 136, [1867]; D-Dl – KlA.; D-KNh, D-Rp <> Frühlingsnacht (4 Sst., Orch.) op. 139, [1869]; D-F (digital) <> 3 Phantasiestücke (Kl., Vl.) op. 142, [1870]; D-F, D-Mbs (Nr. 1), NL-DHnmi <> Violinkonzert (Joseph Joachim gew.) op. 152, [1875]; D-Bhm, D-F, D-Hs, D-Mbs, D-SWl, GB-Lbl, NL-DHnmi – Autograph in D-F (digital) <> Dramatische Phantasie, symphonischer Prolog (Orch.) op. 166, [1874]; D-F, D-Sl, GB-Lbl (digital) – daraus Ballabile (Orch. bzw. Kl. 4ms) [1886]; D-F (Kl. 4ms), D-Mbs (Orch.), D-MZs (Orch.) <> bei André in Offenbach am Main sind erschienen: Sechs Gesänge (4st. Mch.; „dem deutschen Singverein zu Ponte-Molle in Rom freundlichst zugeeignet“) op. 28 [1844]; D-B, D-OF <> Sechs volksthümliche Lieder (2 Sst., Kl.), Heft 2, op. 61[b] [1854]; D-B, D-F (digital), D-OF <> Valse espressive (Kl.) op. 55 [1854]; D-Mbs (digital), D-OF <> Balladen vom Pagen und der Königstochter (Dekl., Kl.) op. posth. [1893]; D-B, D-F (digital)
Quellen — Briefe (u. a. an Schott, Franz Wüllner, Clara Schumann), s. Kalliope sowie Spohr-Briefe <> Briefnachlass (34 Bände), Autographenalbum und Tagebücher; D-KNa (digital) <> 16 Briefe (1847–1854) an André in Offenbach; D-OF <> Noten und Briefe; D-F <> Goby Eberhardt, Erinnerungen an bedeutende Männer meiner Epoche, Lübeck 1926, S. 74–77 (Anekdotisches)
Literatur (Auswahl) — Reinhold Sietz und Margarete Sietz, Der Nachlass Ferdinand Hillers, Köln 1970 (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 59) <> Schaefer 1981 <> Eva Martina Hanke, Ferdinand Hiller und das virtuose Klavierkonzert in der Mitte des 19. Jahrhunderts, Kassel 2005 <> Florian Ilge, Ferdinand Hiller. Untersuchungen zur zeitgenössischen Rezeption, Fernwald 2019 <> Peter Ackermann / Arnold Jacobshagen (Hrsg.): Ferdinand Hiller. Komponist, Interpret, Musikvermittler, Kassel 2014 <> Klaus Wolfgang Niemöller, Art. Hiller, Ferdinand, in: MGG2P
Abbildung 1: Notenbeispiele zum dritten Heft der Compositionslehre bey Herrn Vollweiler (angefangen im April 1825); Ms. in D-F (digital)
Abbildung 2: Ferdinand Hiller, kolorierte Lithographie (Digitalisat aus D-F, Portraitsammlung Manskopf)
Abbildung 3: Ferdinand Hiller, Zweite Concert-Ouverture (Niels W. Gade gewidmet, aufgeführt bei dem 25jährigen Jubiläum der Mozart-Stiftung in Frankfurt/M.) op. 101, Mainz: Schott [1863]; D-Mbs
Tobias C. Weißmann