gorr

auch Gor, Gur, Chur, Chor u. ä. sowie (latinisiert) Gorrius

(1) Johann Peter * Münzenberg ca. 1609/10 | † Gießen 18. Apr. 1693; Vater von (1) und (2), Türmer und Stadtmusicus

(2) Johann Otto * Gießen 29. Okt. 1642 | † Darmstadt 28. Aug. 1694; Sohn von (1), evangelischer Pfarrer, (Musik-)lehrer, Autor

(3) Johann Christoph get. Gießen 11. Nov. 1649 | begr. Darmstadt 17. November 1719; Sohn von (1), Türmer und Stadtmusicus, Hofmusiker


(1) Peter Gorr, Sohn eines Münzenberger Cellarius, war in Alsfeld, Marburg, Butzbach und Friedberg Türmergeselle gewesen, bevor er sich 1636 nach dem Tod von Hans Henrich Fischer mit Erfolg um dessen Stelle als Türmer und (in üblicher Personalunion) Stadtmusicus in Gießen bewarb; im April des folgenden Jahres heiratete „Johann Peter Gur, tornman alhier“ Fischers Witwe Anna Margaretha.


(2) Nach dem Besuch des Gießener Pädagogs (1652–1659) studierte Johann Otto Gorr zunächst an der dortigen Universität Philosophie, wechselte 1660 zum Theologiestudium nach Leipzig und erlangte 1663 wiederum in Gießen mit einer gedruckten Dissertation (s. u.) den Magistertitel. Ende des Jahres 1664 wurde er „wegen seiner wohlgegründete[n] studien und fertiger Music“ [sic!] (Leichenpredigt, S. 25) als Nachfolger von Johann Heinrich Seip zum Lehrer und Kantor des Darmstädter Pädagog („Quartus“) ernannt und erhielt im Januar 1665 die Beförderung zum Praeceptor Classicus („Tertius“) sowie das Amt des Hofkantors. 1676 stieg er zum Rektor des Pädagogs auf und wurde gleichzeitig (nicht erst 1690) zum Stadtpfarrer ordiniert; um sich intensiver dem Predigtamt zuwenden zu können, trat er 1689 von seinen Verpflichtungen am Pädagog zurück. Dass er zumindest zeitweise die Kirchenbücher der Stadtpfarrei führte, geht aus Taufeinträgen der Jahre 1680 bis 1684 hervor: Den Kindsvater Johann Christoph Gorr bezeichnet er ausdrücklich als seinen Bruder (Taufregister 1679–1711, S. 28, 110). Johann Otto Gorr war seit Juni 1668 verheiratet mit Anna Catharina geb. Schlosser (* 1649), einer Tochter Philipp Schlossers (1613–1675), seines Vorgängers als Stadtprediger.

Werke — Aria Glückwünschender Freuden-Zuruff zum Einzug des in Gotha frischvermählten Landgrafenpaars Ludwig VI. von Hessen-Darmstadt und Elisabeth Dorothea, Tochter Ernst des Frommen, Herzogs von Sachsen-Gotha-Altenburg, am 20. Febr. 1667 in Darmstadt (2 S, Viola da gamba, B. c.), Darmstadt: Wust 1667; D-DS (s. RISM GG 3026 I,1) <> Schwinge liebe Seele dich (C, A, T, B), in: Leichenpredigt auf Hieronymus Rötel (Hocherfreulicher Wechsel) von Johann Georg Mettenius, Frankfurt: Wust 1676; D-B, D-GOl <> Dissertatio de unitate formæ in uno composito, quam dirigente Jesu, Gießen: Hampel 1663; D-GI <> Leichenpredigt auf Johann Georg Schleyermacher (Die vergnügende Grande Gottes), Darmstadt 1687; D-DS – enthält auch (S. 63–64) den Text zu einer von Wolfgang Carl →Briegel vertonten Trauermotette <> zahlreiche Epicedia in Leichenpredigten sowie andere (vorwiegend) lateinische Gedichte zu unterschiedlichen Anlässen; s. VD 17


(3) 1673 trat Johann Christoph Gorr die Nachfolge von Konrad Groß (* verm. Homberg/Ohm ca. 1630 | begr. Darmstadt 30. Apr. 1677; seit 1655 in Darmstadt) an, der das Türmeramt aufgegeben hatte, und wurde somit Leiter der städtischen Musikerschaft. Bereits seit 1682/83 und noch 1718 war er auch als Hofmusicus tätig. Seinen Dienst als Türmer beendete er 1709 zugunsten seines Schwiegersohns Johann Caspar Geibel (get. Treis an der Lumba, heute Stadtteil von Staufenberg bei Gießen 28. Febr. 1675 als Schulmeisterssohn | begr. Darmstadt 26. Juli 1750), der seit 1704 mit Maria Regina Gorr (* 1678) verheiratet war und sein Amt bis 1748 innehatte. Johann Christophs Sohn Johann Friedrich Gorr (* Darmstadt 9. Jan. 1686 | † nicht vor 1725) war zeitweise (wenigstens in den Jahren 1720–1724) als Hofmusiker tätig, darüber hinaus und vielleicht hauptberuflich als Bierbrauer. Die Herkunft von Johann Christoph Gorrs Ehefrau Anna Jakobäa (auch Jakobine, * ca. 1651 | begr. Darmstadt 20. Juli 1719) war bislang nicht zu ermitteln.


Quellen — KB Gießen (Stadtkirche); KB Darmstadt (ev.); KB Treis an der Lumba <> Akte Bestellung von Johann Otto Gorr zum jüngeren Stadtprediger (1676); D-DSsa <> Leichenpredigt auf Johann Otto Gorr (Der glaubigen / ausserwehlten Kinder Gottes heilige Großmüthigkeit und Trotz / Auf Ihren mit Ihnen versöhnten Gott) von Johann Peter Fäuerbach, Darmstadt: Griebel 1694; D-DS (digital)

Literatur — Wilhelm Uhrig, Geschichte des Großherzoglichen Gymnasiums zu Darmstadt, Darmstadt 1879 <> Heinrich Bechtolsheimer, Gießener Turmwächter in alter Zeit, in: Heimat im Bild (Gießener Anzeiger) 1939, Heft 18 <> Noack 1967 <> Schaefer 1975, Bd. 2, S. 505–506

Abbildung: Titel der Leichenpredigt auf Johann Otto Gorr, Darmstadt 1694; D-DS – Für diejenigen unter Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, denen der Umgang mit akademischen Schriften dieser Zeit nicht sonderlich geläufig ist bzw. für die Latein im eigentlichen Sinne eine Barriere darstellt, ein paar kleine Erläuterungen: Gedruckte Leichenpredigten waren vor allem im 17. Jahrhundert im protestantischen Raum eine gängige Praxis innerhalb der gehobenen Gesellschaft. Anders als der (vielfach sehr intellektuell-theologisch gehaltene) Predigttext selbst besitzen vor allem die nachfolgenden „Personalia“ mit ihren Mitteilungen zur Familie und zu den Vorfahren des oder der Verstorbenen noch immer historisch-genealogischen Wert; speziell das MMM-Team freut sich zudem über die bisweilen beigefügten Vokalsätze (vgl. die Abb. im Art. Johannes Tack) – in wenigstens einem Fall war Stadtpfarrer Gorr es, der einen solchen komponierte und beisteuerte (s. o. unter Werke). Was dessen Namen und die vielleicht seltsam anmutende Schreibweise – noch dazu in übergroßen Versalien – auf dem abgebildeten Titel betrifft: „Gorrii“ ist Genitiv Singular des latinisierten Namens Gorrius; Genitiv deshalb, weil es um die Beerdigung des Herrn Gorr geht, und im Lateinischen werden dabei sämtliche zugehörigen Bestandteile in denselben Casus gebracht, also: „M[agistri] Joh[annis] Ott[onis] Gorrii“, wodurch sich nebenbei auch die komische Abkürzung „Ott.“ für den „Otto“ erklärt. Und warum überhaupt Latein an dieser Stelle? Weil der Verstorbene „hochgelehrt“ war und den (lateinischen) Magister-Titel trug – dieser muss einfach im Satzgefüge den syntaktischen Regeln folgen, und das gilt konsequenterweise auch für den Namen selbst. Schließlich apropos Abkürzung: I[n] N[omine] (also: Im Namen) J[esu] C[hristi] A[men] (ganz oben auf dem Titel!) ist eine übliche, wenngleich (bei Leichenpredigten) nicht immer verwendete Eingangsformel für christliche Gebets- und Predigttexte.


Axel Beer

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  • Zuletzt geändert: 2025/01/30 16:48
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  • angelegt 2025/01/21 21:31