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OCHS, SIEGFRIED (LAZAR) * Frankfurt/M. 19. Apr. 1858 | † Berlin 5. Febr. 1929; Dirigent und Komponist

Siegfried Ochs’ Eltern Lazarus (Besitzer einer Seidenfabrik) und Hedwig geb. Lion repräsentieren den weltoffenen, gleichwohl in der jüdischen Tradition wurzelnden einflussreichen Frankfurter Bürgerkreis, der sich auf der Grundlage erworbenen Wohlstands für kulturelle wie soziale Belange interessierte wie auch engagierte. Dass Siegfried als Jugendlicher mit dem Gedanken spielte, Musiker zu werden, ist umso weniger überraschend, als sein besonders musikaffiner Cousin Ferdinand Schwarzschild offenbar beträchtlichen Einfluss auf die Familie hatte. Aufgrund der ebenfalls bestehenden naturwissenschaftlichen Interessen begann Ochs jedoch ein Studium der Chemie – zunächst am Darmstädter Polytechnikum und anschließend in Heidelberg –, nutzte aber die Gelegenheit, beim greisen Hofkapellmeister Louis Schlösser sowie bei der gleichfalls in Darmstadt lebenden Pianistin Eleonore Elise („Lilli“) Scholz (ca. 1840–1920) Unterricht zu erhalten. Während der Heidelberger Zeit rückte sein eigentlicher Studieninhalt mehr und mehr in den Hintergrund – „über allem Musizieren“ hatte Ochs, wie er rückblickend erzählte, „die Chemie ganz vergessen“ (Ochs 1922, S. 70), was einerseits Entsetzen im Elternhaus hervorbrachte, andererseits die Komposition, die den Namen Siegfried Ochs bis heute nicht vergessen ließ: Die Variationen über „’s kommt ein Vogel geflogen“, wohl 1876/77 entstanden als „Studentenscherz“ (Ochs 1922, S. 67). Nachdem Joachim Raff sich 1877 bereitgefunden hatte, Ochs als Schüler des im Aufbau befindlichen Hoch’schen Konservatoriums aufzunehmen, entschied die Familie, den jungen Mann – ausschlaggebend waren die Beziehungen, die der Bankier Emil Ladenburg, Chef Ferdinand Schwarzschilds, zu Joseph Joachim pflegte – an die Königliche Hochschule in Berlin zu schicken, wo er 1879 bis 1881 studierte (u. a. Klavier bei Ernst Rudorff, Chorgesang bei Adolf Schulze), allerdings „wegen grober Vernachlässigung“ seiner Pflichten (Ochs 1922, S. 95) – er hatte sich mit Joachim überworfen – alsbald „entfernt“ wurde; es folgten private Studien bei Friedrich Kiel (Kontrapunkt), bevor Ochs von Okt. 1883 bis Okt. 1884 an die Hochschule zurückkehrte (Komposition bei Wilhelm Taubert). Bereits 1882 hatte er die Leitung eines Chors übernommen, der alsbald als Siegfried Ochs’scher Gesangverein figurierte und seit 1890 als Philharmonischer Chor (im engen Verbund mit dem von Hans von Bülow geleiteten Philharmonischen Orchester) zunehmende, auch überregionale Bekanntheit verbuchen konnte. Ochs führte den Chor bis zu dessen Auflösung 1920 an, fand aber zugleich Gelegenheit, auswärtige Engagements als Dirigent einzugehen, was zur Folge hatte, dass er sich „während eines großen Teil des Jahres auf der Eisenbahn befand“ (Ochs 1922, S. 327). So erreichte ihn 1903 aus seiner Heimatstadt Frankfurt die Bitte, anstelle des erkrankten Bernhard →Scholz vorübergehend für die Proben und die Leitung des Rühl’schen Gesangvereins zur Verfügung zu stehen, was er ebenso bereitwillig tat wie 1905 die Wahl zum offiziellen Dirigenten anzunehmen. Wegen seiner Verpflichtungen in Berlin musste er jene Tätigkeit, bei der ihm Ferdinand Bischof als Probenleiter zur Seite gestanden hatte, bereits 1908 niederlegen, blickte jedoch, trotz einer „gewisse[n] Vereinsmeierei“, mit der er sich zu arrangieren hatte, „mit uneingeschränkter Freude“ auf die Zeit in Frankfurt zurück (Ochs 1922, S. 327 und 328); sein Nachfolger wurde Carl Schuricht. Im Rahmen des Mainzer Musikfests im Juni 1913 war Siegfried Ochs noch einmal als Dirigent in der Region zu erleben, wobei sein „Temperament […] den Chor zu einer Explosion jubelnder Begeisterung hin[riss]“ (Frankfurter Zeitung und Handelsblatt 4. Juni 1913). Ochs, der 1897 zum Königlichen Professor ernannt wurde, war seit 1889 mit der Berliner Kommerzienratstochter Charlotte Friedländer verheiratet.

WerkeKompositionen (chronologisch nach Veröffentlichung): Ein deutsches Volkslied (’s kommt ein Vogel geflogen). Im Style älterer und neuer Meister für Pianoforte humoristisch bearbeitet o. op., 2 Hefte, Heidelberg: Pfeiffer [1878 und 1879]; A-Wn, D-B, D-MÜu, D-MZs, D-SPlb, D-WIl u. v. a. – zahlreiche Bearbeitungen und Neuausgaben <> Die Maulbronner Fuge (Bar. u. Mch.: Im Winterrefektorium“) op. 3, Berlin: Raabe & Plothow [1883]; A-Sm, D-Mbs, D-WRz, GB-Lbl <> Drei Gesänge in Canon-Form (Mch.) op. 4, Bremen: Praeger & Meier [1883] <> Lieder und Gesänge (Sst., Kl.; Die Hexe, Sommerabend) op. 5, Berlin: Paez [1883] – ca. 1903 Übernahme von Eisoldt & Rohkrämer (Berlin); D-B <> Lieder und Gesänge (Sst., Kl.; Wie des Mondes Abbild zittert, Geh’ ich abends aus, Wir wollen jetzt Frieden machen) op. 6, Berlin: Paez [1883] – ca. 1903 Übernahme von Eisoldt & Rohkrämer (Berlin); D-B <> Drei Gedichte (Sst., Kl.; Hexenlied, Im Mondenglanze, Es geht um die Mühle im Thale) op. 7, Berlin: Raabe & Plothow [1883]; GB-Lbl <> Französisches Lied (Sst., Kl.; „Ein Sonntag war’s nach Osterzeit“) o. op., ebd. [1884]; D-B <> Fünf Ländler (Kl. 4ms) op. 8, ebd. [1885]; D-B, D-Mbs, GB-Lbl <> Mädchenlied (Sst., Kl.; „Wenn um deine schwarzen Locken“) op. 9, ebd. [1885]; D-B, GB-Lbl <> Das macht, es hat die Nachtigall (Sst., Kl.) o. op., Bremen: Praeger & Meier [1886]; D-B <> Operette Zwanglos; KlA. einzelner Szenen, Berlin: Raabe & Plothow [1886]; D-B – Überarbeitung unter dem Titel Vom Opernhaus, Aufführungen Berlin und Wien 1923 <> Zwei Lieder (Sst., Kl.; Frage nicht, ob ich dich liebe, Jeanne und Jeanneton sind nie alleine) o. op., Berlin: Raabe & Plothow [1888]; D-B <> Oper Im Namen des Gesetzes (Text: Ochs), UA Hamburg 3. Nov. 1888; KlA. einzelner Nummern (Simoulin-Walzer, Alban-Marsch, Berlin: Raabe & Plothow [1888]; D-B <> Der 128. Psalm (gem. Chor, Org./Kl.), Berlin: Bote & Bock [1918]; D-B <> Operette Vom Opernhaus (1923; s. Zwanglos) <> zur handschr. Überlieferung vgl. RISMonline

Schriften: Anton Bruckner. Te Deum, Frankfurt: Bechhold [1897] (Der Musikführer Nr. 102; s. a. August Morin) <> Geschehenes, Gesehenes (Autobiographie), Leipzig und Zürich: Grethlein 1922 <> Über die Art, Musik zu hören (Vortrag), Berlin: Werk-Verlag 1926 <> Der deutsche Gesangverein für gemischten Chor, 4 Bde., Berlin: Hesse 1923, 1924, 1926, 1928 (Aufbau und Leitung eines Gesang-Vereins, Die Aufführungs-Praxis bei Schütz, Händel und Bach, Über die Aufführungs-Praxis bei Haydn, Beethoven und Bruckner, Über die Aufführungspraxis bei Berlioz, Liszt, Mendelssohn, Schumann, Hugo Wolf, Max Reger) <> Herausgaben und Bearbeitungen: Neben zahlreichen Volksliedern praktische Ausgaben und Klavierauszüge von Werken von Bach (insb. Kantaten), Berlioz, Bruckner, Händel und Schütz

Quellen — Zivilstands- und Standesamtsregister Frankfurt <> Briefe s. Kalliope <> Schülerlisten des Königlichen Konservatoriums Berlin <> N.N., Siegfried Ochs, in: Frankfurter Musik- und Theater-Zeitung 15. Apr. 1908, S. [1]–3 <> Frankfurter Zeitung und Handelsblatt 23. Febr. 1883 (Beilage), 16. Nov. 1885 (Beilage), 2. Juni 1892 (Abendblatt, Lazar Ochs betr.), 3. Mai 1902 (Abendblatt, dto.), 18. Jan. 1903 (2. Morgenblatt), 29. Jan. 1906 (Abendblatt), 24. Jan. 1907 (2. Morgenblatt), 29. Jan. 1907 (Abendblatt), 2. Sept. 1908 (Abendblatt), 4. Juni 1913 (Abendblatt) und passim; Musikalisches Wochenblatt 19. Sept. 1907, 7. Sept. 1908 und passim; Wiesbadener General-Anzeiger 19. Apr. 1908, 28. Mai 1909 und passim; Signale für die musikalische Welt 11. Apr. 1923 <> Siegfried Ochs, Geschehenes, Gesehenes (Autobiographie), Leipzig und Zürich: Grethlein 1922 <> MMB; Pazdírek <> StiegerO

Literatur — Siegfried Oechsle, Art. Ochs, Siegfried in: MGG2P (darin weitere Literaturangaben) <> Reinhard Frost, Art. Ochs, Siegfried in: Frankfurter Personenlexikon (digital)

Abbildung 1: Siegfried Ochs nach einer Fotografie von Reichard & Lindner (Berlin), ca. 1902/03, mit Zueignung an Friedrich Nicolas Manskopf, dat. Berlin 7. Febr. 1903 (Digitalisat aus D-F, Porträtsammlung Manskopf)

Abbildung 2: Konzertanzeige der Militärkapelle von Theodor Adam mit Ochs’ ’s kommt ein Vogel geflogen, Darmstädter Tagblatt 5. Juli 1883

Abbildung 3: Brief von Siegfried Ochs an die Redaktion der Lustigen Blätter (Berlin), Berlin 17. Jan. 1908, mit dem Dank für eine Einladung, der er nicht nachkommen konnte, da er „aus beruflichen Gründen nach Frankfurt a/M. reisen“ musste; D-Kbeer


Axel Beer

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