wolfsohn


(1) Carl * Alzey 14. Dez. 1834 | † Deal Beach (New Jersey) 30. Juli 1907; Pianist, Komponist, Dirigent

(2) Henry (urspr. Heinrich) * Alzey 7. Juni 1843 | † New York 31. Mai 1909; Bruder von (1), Konzertagent und Manager


(1) Carl Wolfsohn, ein Sohn des jüdischen Alzeyer Arztes Benjamin W. (1796–1865), wurde durch seine Mutter Sara geb. Belmont seit früher Kindheit in seinen pianistischen Ambitionen bestärkt. Seine musikalische Ausbildung erfolgte in Frankfurt/M., wo er Ende 1848 bei einer Matinée im Haus Mozart als Schüler Johann Christian Hauffs erstmals öffentlich auftrat. Eigenen Angaben aus späterer Zeit zufolge war er (von 1846 bis 1848) Schüler Aloys →Schmitts, wofür sich in der Frankfurter Presse bislang allerdings kein Beleg finden ließ. Ebensowenig sind bisher weitere Studien in Mannheim bei Vinzenz Lachner und „Mme. Heinefetter“ sowie eine Konzerttournee durch die Bayerische Pfalz (an der Seite Therese Milanollos) nachweisbar. 1850 gab Wolfsohn ein Konzert in Worms, bei dem ihn Jean Becker und Jakob Heinefetter aus Mannheim unterstützten. Von Ende 1852 bis Mai 1854 hielt er sich in Großbritannien auf und wirkte als Pianist, Klavierbegleiter und Dirigent in London und Nordengland. Wolfsohn übersiedelte 1854 in die USA und ließ sich zunächst in Philadelphia nieder. Eine erste Meldung über ihn fand 1859 Eingang in die deutschsprachige Fachpresse: Als Kuriosum wurde eine Konzertbesprechung wiedergegeben, der zufolge aus dem (von Beethovens 5. Klavierkonzert gelangweilten) Publikum ein „erfolgloser Versuch gemacht [wurde], Wolfsohn mit einem Blumenbouquet, welches sehr geschickt geschleudert worden war, da es ihn senkrecht auf den Kopf traf, zu Boden zu werfen. Wolfsohn war zuerst betäubt, aber—voll von Muth—kam er wieder zu sich, und nachdem er die Blätter von den Tasten entfernt hatte, nahm er seinen Sitz mit der verzweifelten Absicht wieder ein, dem Publikum eine volle Dosis von E-Flat zu geben, ob es dieselbe nehmen wollte oder nicht.“ (Deutsche Musik-Zeitung für die Vereinigten Staaten (Philadelphia) 15. Juli 1859 sowie in Niederrheinische Musik-Zeitung 20. Aug. 1859). In den Wintermonaten der Jahre 1859 bis 1864 sowie 1868 bis 1871 gab er in Philadelphia Reihen von Kammermusikkonzerten, die neben jenen von Johann Heinrich Bonewitz (dieser widmete ihm seine Klaviersonate op. 6) bestanden und bei denen u. a. Karl Hohnstock (dessen Schwester, der Komponistin Adèle H., widmete Wolfsohn sein op. 9) und Theodore Thomas mitwirkten. Über letzteren, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband, boten sich Wolfsohn seit 1865 Gelegenheiten, in New York aufzutreten. Mit einer Konzertreihe, bei der er 1866/67 in New York sämtliche Klaviersonaten Beethovens zu Gehör brachte, erlangte er größere Bekanntheit als Interpret „klassischer“ Klavierwerke. Es folgten vergleichbare Veranstaltungen mit Werken Schumanns und Chopins. Gleichzeitig veröffentlichte er Klavierstücke und Lieder, wobei G. André & Co., der Philadelphische Tochterverlag der Offenbacher Firma André, einer seiner Hauptverleger wurde. Wolfsohn kehrte regelmäßig (mindestens zehn Mal; Mathews 1889 zufolge (s. Lit.) sogar jeden Sommer) zurück in seine deutsche Heimat und berichtete 1871 unter der Überschrift Music and Musicians in Germany von einer dort unternommenen Reise (in: Philadelphia Evening Bulletin 31. Juli 1871), wobei sein als „langweilig“ zusammenzufassendes Urteil über das Frankfurter Musikleben und die dortige Presse zu einem zurechtweisenden Artikel in der Didaskalia (25. Aug. 1871) führte: Darauf, dass Wolfsohn im Zusammenhang mit den Museumskonzerten „von Musikern gehört haben will, daß die große Masse der Anhänger von Strauß und Offenbach durch eine kleine Clique terrorisirt werde“, was man sich in Amerika nicht gefallen ließe, heißt es: „Das glauben wir gern, denn in Amerika sind die Musiker so ‚geschult‘, daß sie dem Publikum nur Dasjenige bieten, was es verlangt, und so thut es gerade Herr Wolfsohn, der in seinen ‚classischen Concerten‘ auf einen Symphoniesatz frisch und frei ein nichtssagendes Salonstück auf dem Piano vorträgt […]“ (ebd.). 1873 ließ sich Wolfsohn in Chicago nieder und setzte sein Wirken als Pianist, Klavierlehrer, Konzertgeber und Dirigent in ähnlicher Weise fort (u. a. 1885/86 eine Trio-Reihe mit Frederick Hess). Er gründete die Chicago Beethoven Society und engagierte sich u. a. für die Einrichtung eines ständigen Chicagoer Orchesters. Zu seinem 50. Berufsjubiläum spendete er der Stadt eine Beethoven-Büste, die von 1897 bis zu ihrem Diebstahl im April 1971 im Lincoln Park aufgestellt war. Wolfsohn war nicht verheiratet. Zuletzt lebte er gemeinsam mit seiner verwitweten Schwester Sophie Meyenberg (* 1838) in Chicago und verstarb an den Folgen einer Operation. Zu seinen Schüler*innen gehören Augusta Cottlow und Fannie Bloomfield-Zeisler, deren Konzertreisen später von seinem Bruder Henry Wolfsohn (2) gemanagt wurden.

WerkeKompositionen: Grand polka de concert (Kl.) op. 9 (Adèle Hohnstock gew.), Philadelphia: Lee & Walker [1854]; US-Wc <> Redowa de concert (Kl.) (Mrs. Harriet Fuller gew.), Philadelphia: Lee & Walker bzw. Edward L. Walker [1855]; D-OF, US-AAu (digital), US-Wc (2 versch. Expl., eines digital) – dass. als Rédowa de Concert (Kl.) op. 38, Offenbach: André [1870]; D-OF <> Polka Caprice (Kl.) (Mrs. Dr. James Rush gew.), Philadlephia: Edward L. Walker [1855]; US-AAu (digital), US-Wc (digital) <> Consolation. Nocturne (Kl.) (Mrs. Dr. Moreton Stillé gew.), Philadelphia: G. André & Co. [1857]; D-OF, US-AAu (digital) <> Souvenir d’un Temps Heureux (Remembrance of Happy Times). Morceau (Kl.), ebd. [1859]; US-AAu (digital) <> Il Trovatore. Caprice de Salon (Kl.), ebd. [1859] <> Souvenirs des Hugenotes. Grand Duo (Vl., Kl.), ebd. [1859] <> Diana. Morceau de Salon (Kl.) op. 18 (Miss Maria Vidal Page gew.), ebd. [1860]; D-OF, US-AAu (digital) <> Union hymn. May god save the Union (Sst., gem. Chor, Kl.), ebd. [1861]; US-AAu <> Six duetts for two performers on the piano (4. Festivalmarch, 5. Styrienne; „expressly composed for and dedicated to Little Lizzy Hopkinson“), ebd. [1862]; D-OF, US-Wc <> Souvenir à Hohnstock (Kl.), ebd. [ca. 1860–63] <> Souvenir de Cresson (Kl.) („Miss Marie Moehring of Philadelphia“ gew.), ebd. [ca. 1860–63]; D-OF Album-Blätter. Sechs kleine Stücke (Kl.) (Miss Mary F. Howell gew.), ebd. [1864]; D-OF, GB-Lbl <> Two Songs (1. Die stille Wasserrose, 2. Ich hab’ im Traum geweinet) (Theodore Habelmann gew.), Philadelphia: G. André & Co. [1866]; US-AAu (digital) <> Love’s Star (Liebes Stern) Sung by Mr. Theodore Habelmann in all his Concerts (dt. Text: Henry Wolfsohn; Sst., Kl.) (Mrs. Gibson Peacock gew.), ebd. [1867]; US-AAu (digital) <> Six Duettinos faciles (1. Atlantic City 1860, 2. Spruce Street 1424, 3. Evening Song, 4. Festival March, 5. Styrienne, 6. Farewell-Song; Kl. 4ms) op. 35, 2 Hefte, Offenbach: André [1867]; D-OF <> Au Bord Du Lac. Morceau de Salon (Kl.) (Miss Christine Biddle gew.), Philadelphia: Lee & Walker [1868]; US-AAu (digital) <> Trois Morceaux Caracteristiques (1. Berceuse (Miss Olga Harrison gew.), 2. L’Adieu (Miss Annie Freeman gew.), 3. Chant du Soir (Miss Bessie Lewis gew.)), Philadelphia: Louis Meyer [1868]; US-AAu (Nr. 3 digital) <> Faust (de Gounod,) Transcription de Concert (Kl.), Philadelphia: F. A. North & Co. [1869]; US-AAu (digital) <> Twilight, (Dämmerungs-Stunde) Song (Sst., Kl.) (Mad. Bertha Zittel gew.), Philadelphia: G. André & Co. [1870]; US-Wc (digital) <> Momentoes („Gedenkblätter.“). Six Characetristic pieces (1. Thinking of Thee, 2. Dreaming, 3. Full of Joy, 4. Remembrance, 5. Resignation, 6. Unbounded Happiness) (Miss Delia Spencer gew.), Chicago: Chandler & Curtiss [1874]; US-AAu (digital), US-Wc (digital) <> Schriften: Descriptive Programmes of Carl Wolfsohn’s Eighteen Historical Piano-Recitals beginning February 17, 1877, Chicago 1877; US-CAe (digital)

Quellen — Hamburger Passagierlisten <> Immigration Records New York <> US Census Records Philadelphia 1860, 1870; Chicago 1900 <> Passport Applications/Certificates <> Briefe seiner Mutter (5, 1837–1840) sowie NN Wolfsohns (3, 1832–1841) aus Alzey an Schott in Mainz; D-Mbs, s. Kalliope <> Didaskalia 11. Jan. 1849, 5. Dez. 1850, 2. Mai 1867, 25. Aug. 1871 (Die Musik und Musiker ein Frankfurt. Geschildert von einem Clavierlehrer aus Philadelphia); The Illustrated London News 18. Dez. 1852, 1. Apr. 1854; The Carlisle Journal 2. Sept. 1853; The Liverpool Albion 12. Sept. 1853, 19. Sept. 1853; The Musical World (London) 29. Okt. 1853, 17. Dez. 1853, 13. Mai 1854, 27. Aug. 1859, 8. Okt. 1870, 3. Dez. 1870; Deutsche Musik-Zeitung für die Vereinigten Staaten (Philadelphia) 15. Jan. 1858, 1. Juni 1859, 1. Juli 1859, 15. Juli 1859, 1. Sept. 1859; Niederrheinische Musik-Zeitung 20. Aug. 1859; Neue Wiener Musik-Zeitung 10. Nov. 1859; Signale für die musikalische Welt 18. Okt. 1860, 25. Okt. 1860, 23. Febr. 1866, 30. Nov. 1866, 7. Dez. 1866, 19. Nov. 1868, 5. März 1897; NZfM 29. März 1861, 5. Juli 1861, 11. Apr. 1862, 1. Juni 1866; Süddeutsche Musik-Zeitung 24. Febr. 1862; The Musical Standard (London) 16. Apr. 1870, 27. Juli 1878, 6. Aug. 1881; Neue Berliner Musikzeitung 10. Juli 1873; Frankfurter Zeitung und Handelsblatt 31. März 1886; Alzeyer Zeitung 13. Mai 1888; Musikalisches Wochenblatt 26. Juni 1890; Österreichische Musik- und Theaterzeitung Nr. 21/22 (Aug.) 1895, 1. Apr. 1896; The Chicago Daily Tribune 18. Dez. 1896 (Fifty Years a Musician), 3. Jan. 1897, 13. Jan. 1897 (Carl Wolfsohn Jubilee), 20. Juni 1897, 17. Dez. 1905, 1. Aug. 1907 (Nachruf), 18. Nov. 1973; The New York Times 20. Juni 1897, 27. Juni 1897; zahlreiche weitere Nennungen in der Amerikanischen Tages- und Fachpresse <> MMB

Referenzwerke und Literatur — Art. Wolfsohn, Carl, in: A Handbook of American Music and Musicians, hrsg. von F. O. Jonses, Canaseraga 1886 <> A Hundred Years of Music in America. An Account of Musical Effort in America, hrsg. von W. S. B. Mathews, Chicago 1889 / Philadelphia 1900, S. 141–144 <> Art. Wolfsohn, Carl, in: The American History and Encyclopedia of Music. Musical Biographies, hrsg. von W. L. Hubbard, Bd. 2, Toledo (Ohio) u. a. 1908 <> Art. Wolfsohn, Carl, in: The new encylopedia of music and musicians, hrsg. von W. S. Pratt, 1924 <> Art. Wolfsohn, Carl, in: BakerB 41940 <> Francisco J. Albo, Art. Wolfsohn, Carl, in: GroveMO

Abbildung 1: Carl Wolfsohn, in: A Hundred Years of Music in America. An Account of Musical Effort in America (s. Lit.), S. 143


(2) Henry Wolfsohn kam 1856 mit seinem Vater und vier Geschwistern in die USA und lebte zunächst in New York, wo er (mindestens von 1862 bis 1864) als Senior Student das Columbia College besuchte. Zudem soll er dort musikalisch durch Theodore Thomas und William Mason unterwiesen worden sein. Anfang der 1870er Jahre lässt er sich als Konzertgeber bzw. Sänger und Verfasser einer Stimmschule in St. Louis (Missouri) nachweisen. 1877 heiratete Wolfsohn in Louisville (Kentucky) die aus einer Musikerfamilie stammende Paula Kerker (* Herford 13. Mai 1859), eine Schwester des Komponisten Gustav Adolph Kerker (1857–1923), und leitete das dortige Conservatory of Music. Dass er 1879 in Kontakt mit August Wilhelmj kam und diesen bei der Durchführung seiner Konzertreise durch die USA unterstützen konnte, legte den Grundstein für Wolfsohns weitere Karriere. Nachdem er 1881 nach New York gezogen war, eine Konzertreihe organisiert und mehrfach als Tourneemanager engagiert wurde, eröffnete er 1883 das Wolfsohn Musical Bureau als eine der ersten Künstleragenturen in den USA. Vielfach arrangierte er Amerika-Tourneen für europäische Sänger*innen und Instrumentalist*innen, darunter Amalie Materna (Tante Hedwig Maternas), Blanche Marchesi (Tochter Mathilde →Marchesis), Hugo →Becker und Hugo →Heermann sowie Henri Marteau, Fritz Kreisler, Mischa Elman, Richard Strauss und viele andere. Auch organisierte er Tourneen Amerikanischer Künstler in Europa, wie jene von John Philipp Sousa und seiner Militärkapelle, die diese im Juni 1900 auch nach Frankfurt/M. und Wiesbaden führte. Wolfsohns Beruf erforderte zahllose Geschäftsreisen, die ihn (und mitunter seine Frau und seine Tochter Clara (* Louisville 7. Febr. 1878)) vor allem durch die USA, aber auch nach Europa und gelegentlich an den Mittelrhein führten: Im Juli 1899 lässt er sich als Gast des Wiesbadener Hotels Kaiserhof nachweisen. Nach dem Tod Wolfsohns führte seine Frau, die zuvor bereits in die Geschäfte involviert war, die Firma gemeinsam mit Richard Copley noch bis 1910 fort. Anschließend wurde sie verkauft, bestand aber bis mindestens 1928 unter demselben Namen fort.

SchriftenWolfsohn’s Cultivation of the Voice and Art of Singing as based on Phyiological-Anatomical Principles, St. Louis: Kunkel Brothers [1872]; US-Wc (Part 1 digital) <> Kunstreisen in Amerika, in: Frankfurter Zeitung und Handelsblatt 25. Mai 1905 (Abendblatt); D-F

Quellen — Immigration Records <> Marriage Records Louisville <> US Census Records Louisville 1880, Manhattan 1900 <> Passport Applications <> Jahresberichte des Columbia College, New York 1862/63–1863/64 <> Briefe s. Kalliope <> The Song Messenger Monthly (Chicago) Nr. 6 (Juni) 1874; Music & Drama (New York) 19. Aug. 1882; Signale für die musikalische Welt Nr. 56 (Okt.) 1883; New York Times 23. Apr. 1893 (betr. Amalie Materna), 11. Juli 1896, 25. Dez. 1898 (betr. Blanche Marchesi), 4. Juni 1899, 19. Aug. 1899, 23. März 1900, 24. März 1901 (betr. Hugo Becker), 2. Juni 1909 (Nachruf) und passim; Wiesbadener Bade-Blatt 23. Juli 1899, 30. Juli 1899; The Musical Courier (New York) 3. Jan. 1900, 28. März 1900 (betr. Sousa) und passim; The Violin Times Nr. 115 (Juni) 1903 (betr. Hugo Heermann); The Sun (New York) 2. Juni 1909 (Nachruf); The Violinist (Chicago) Nr. 3 (Juli) 1909 (Nachruf); The Musical Standard (London) 9. Apr. 1910

Referenzwerke und Literatur — James Doering, Art. Wolfsohn, Henry, in: GroveMO <> Christopher Fifield, Ibbs and Tillett: The Rise and Fall of a Musical Empire, Aldershot/London 2005 (insb. S. 14f.)

Abbildung 2: Anzeige Henry Wolfsohns, in: Signale für die musikalische Welt Nr. 56 (Okt.) 1883


Kristina Krämer

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