frauenlob


FRAUENLOB (eigentlich HEINRICH VON MEIẞEN) * im Meißnischen um 1260/65 | † Mainz 29. Nov. 1318; mittelhochdeutscher Spruchdichter und Minnesänger

Frauenlob war bürgerlicher Herkunft und stammte aus meißnischem Gebiet; vermutlich hat er an der Domschule zu Meißen seine breite Bildung erhalten. Er befand sich als junger Mann im Heer König Rudolfs I. von Habsburg und trat vor der Schlacht auf dem Marchfeld in Niederösterreich (1278) erstmals als Dichter hervor. Nach Auskunft seiner Lieder stand er in näherer Beziehung zu König Rudolf (Totenklage 1291), zu König Wenzel (Schwertleite 1292), König Erik von Dänemark, Markgraf Waldemar von Brandenburg (Rostocker Fürstenlager 1311) und vielen anderen weltlichen und geistlichen Fürsten und Grafen des Nordens und Ostens Europas. Nach diesem Wanderleben als Berufsdichter und Sänger verbrachte er ab spätestens 1312 die letzten Jahre seines Lebens in Mainz, vermutlich gefördert durch den 1306 ernannten Erzbischof Peter von Aspelt, dem er vielleicht schon am Prager Hof des böhmischen Königs Wenzel II. begegnet war. Als Frauenlob an den Rhein kam, war er bereits unter dem selbstgewählten Dichternamen berühmt. Sein Vorbild war der eine Generation ältere, äußerst vielseitige Konrad von Würzburg († 1287), der noch die alten höfischen Ritterideale vertreten hatte. Sein Wirken in Mainz wurde von den späteren Meistersingern, die ihn als Domherrn und Doctor theologiae bezeichneten und als einen der Zwölf Alten Meister und damit einen Stifter ihrer Dicht- und Singkunst verehrten, mit der bislang nicht nachweisbaren Gründung einer Mainzer Singschule, also der ersten Meistersingergesellschaft, in Verbindung gebracht. Sie haben in den vorbildhaften Tönen Frauenlobs bis zum Ende ihrer Gemeinschaften weiter gedichtet und seinen Ruhm bis in das 17. Jh. bewahrt. Der Dichter, der in seinem Schaffen den Übergang von einer höfisch-ritterlichen zu einer städtisch-bürgerlichen Kunstübung vollzog, gilt daher als der letzte Minnesänger und zugleich als der erste Meistersinger; sein Werk ist Ausklang einer Epoche und Eröffnung einer neuen. Nach der Chronik des Matthias von Neuenburg (Mitte 14. Jh.) sollen ihn Patrizierdamen zu Grabe getragen und die Grabstätte im Kreuzgang des Mainzer Doms mit Fluten von Wein umgossen haben. Der Leichenzug ist auf einer 1783 gefertigten, heute stark verwitterten Steinplatte dargestellt; der ursprüngliche Grabstein war 1774 bei Bauarbeiten zerstört worden.

Werke — Frauenlob war der wohl individuellste und schöpferischste deutsche Dichter seiner Zeit. Die herausragende Bedeutung ist durch eine überreiche, jedoch vielfach unsichere Überlieferung belegt. Unter seinem Namen sind drei Leichs, zwei Streitgedichte, etwa 450 Sangsprüche in 38 Spruchtönen und 13 Minnelieder überliefert. Als unzweifelhaft echt gelten die Leichs (Marienleich, Kreuzleich, Minneleich), das Streitgedicht Minne und Welt, sieben melodielos erhaltene Minnelieder und etwa 330 Sangstrophen. Sein Werk ist über viele Handschriften zerstreut, eine auch nur annähernd umfassende Sammlung liegt nicht vor. Hauptquellen sind die Große Heidelberger (Manessische) Liederhandschrift (D-HEu digital; begonnen um 1300, mit Ergänzungen bis Mitte 14. Jh ), die Jenaer Liederhandschrift (D-Ju digital), die Wiener Leichhandschrift (A-Wn digital) sowie vor allem die Kolmarer Liederhandschrift (D-Mbs digital; entstanden um 1460 in Mainz oder Speyer, mit 22 ihm dort zugeschriebenen Tönen) und die Weimarer Papierhandschrift (D-WRz digital; mit dem weitaus größten Bestand an Frauenlob-Liedern). Von ihnen enthalten die Handschriften Jena, Kolmar und Wien außer den Texten auch die Melodien. Die weiteste Verbreitung erfuhr der Marienleich, der den Ruhm Frauenlobs begründete und bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts die am häufigsten überlieferte deutsche Lieddichtung war. Von neun Tönen sind aus späterer Zeit die mehr oder weniger zersungenen Melodien erhalten (Flugton, Goldener Ton, Grüner Ton, Kurzer Ton, Langer Ton, Neuer Ton, Vergessener Ton, Würgendrüssel, Zarter Ton). Frauenlobs klangvoller, metaphern- und schmuckreicher Sprachstil ist der des „manierierten“ oder „geblümten Stils“, mit ausgefallenen Reimbildungen, ungewohnten Bildern und häufigen Gedankensprüngen. Seine Themen sind in den lehrhaften Sangsprüchen theologischer, moralischer, philosophischer, politischer oder sozialer Natur: Im dem Hohelied Salomos und der Johannes-Apokalypse nahestehenden Marienleich wird das Lob der Gottesmutter, im Kreuzleich das Erlösungswerk Christi, im Minneleich und in den Minneliedem die kultisch überhöhte Würde der Frau besungen. Die Melodien sind bei aller Formelhaftigkeit reich differenziert und planvoll angelegt.

QuellenFrauenlob (Heinrich von Meißen): Leichs, Sangsprüche, Lieder, 2 Teile (mit Melodien der Leichs), hrsg. von Karl Stackmann und Karl Heinrich Bertau, Göttingen 1981

Literatur — Ludwig Pfannmüller, Frauenlobs Begräbnis, in: PBB Beiträge 38, Halle 1913 <> Margarete Lang, Der Minnesinger Frauenlob, Mainz 1951 <> Karl Heinrich Bertau, Sangverslyrik, Göttingen 1964 (= Palaestra 240) <> Alexander Hildebrand, „Frauenlob“ – zu Heinrichs von Meißen 650. Todestag, in: Mainzer Almanach 1968, S. 182–186 <> Horst Brunner, Die alten Meister, München 1975 <> Christoph März, Frauenlobs „Marienleich“. Untersuchungen zur spätmittelalterlichen Monodie, Erlangen 1987 <> Gisela Kornrumpf, Konturen der Frauenlob-Überlieferung, in: Cambridger 'Frauenlob'- Kolloquium 1986, hrsg. von Werner Schröder, Berlin 1988 (= Wolfram-Studien X), S. 26–50 <> Michael Shields, Zum melodischen Aufbau des Marienleichs, ebd., S. 117–124 <> Christoph März, Zum musikalischen Stil in Frauenlobs Kreuzleich, ebd., S. 125–134 <> Albrecht Juergens, Art. Heinrich von Meissen, in: Kindlers Neues Literaturlexikon, hrsg. von Walter Jens, Bd. 7, München 1990, S. 598–600 <> Michael Shields, Art. Frauenlob, in: NGroveD <> Karl Stackmann, Frauenlob, Heinrich von Mügeln und ihre Nachfolger, hrsg. von Jens Haustein, Göttingen 2002 <> Studien zu Frauenlob und Heinrich von Mügeln, Festschrift für Karl Stackmann zum 80. Geburtstag, hrsg. von Jens Haustein und Ralf-Henning Steinmetz, Freiburg/Schweiz 2002 <> Michael Baldzuhn, Vom Sangspruch zum Meisterlied. Untersuchungen zu einem literarischen Traditionszusammenhang auf der Grundlage der Kolmarer Liederhandschrift, Tübingen 2002 <> Margreth Egidi, Höfische Liebe: Entwürfe der Sangspruchdichtung. Literarische Verfahrensweisen von Reinmar von Zweter bis Frauenlob, Heidelberg 2002 <> Horst Brunner, Art. Frauenlob, in: MGG2P <> Susanne Köbele, Frauenlobs Lieder. Parameter einer literarhistorischen Standortbestimmung, Tübingen u. a. 2003 (= Bibliotheca germanica 43) <> Sangspruchdichtung um 1300. Akten der Tagung in Basel vom 7. bis 9. November 2013, hrsg. von Gert Hübner und Dorothea Klein, Hildesheim 2015 <> Marc Lewon, Frau Musica, Pythagoras und Frauenlob. Zur Deutung zweier Miniaturen im „Codex Manesse“, in: Musik der mittelalterlichen Metropole. Räume, Identitäten und Kontexte der Musik in Köln und Mainz ca. 900–1400, Tagungsbericht Mainz/Köln Oktober 2014, hrsg. von Fabian Kolb, Kassel 2016

Abbildung: Meister Heinrich Frauenlob, Illustration aus dem Codex Manesse (D-HEu)


Wolfgang Ruf

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  • angelegt 2021/10/23 00:36