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WELB, HEINRICH * Frankfurt/M. 5. Apr. 1868 | † ebd. 19. Nov. 1902; Cellist und Komponist

Heinrich Welb, 10. Kind eines Frankfurter Gärtnermeisters, hat in seinem kurzen Leben nur wenige, wenn auch zum Teil außergewöhnliche Spuren hinterlassen. Erstmals begegnet er, u. a. neben Ferdinand Bischof, als Mitwirkender eines „Musikdramatischen Abends“ der Frankfurter Freimaurerloge Carl zum aufgehenden Licht im Dezember 1891, und zehn Jahre später, im Sommer 1901, wird er als Solocellist der Kurkapelle in Vöslau erwähnt – es ist nicht auszuschließen, dass sein gleichnamiger Großonkel, Inhaber einer Waagenfabrik in Frankfurt und in Wien seit 1891 privilegiert als Erfinder einer Neuerung an Laufgewichtswaagen, durch Beziehungen den Weg in den in der Nähe der Donaumetropole gelegenen Badeort gebahnt hat. Was die Zeitgenossen damals interessierte, war wohl weniger das Spiel des Musikers Heinrich Welb, sondern die Tatsache, dass er „zu wiederholten Malen hohen Fürstlichkeiten Clavier-Compositionen widmete“ (Illustrirtes Wiener Extrablatt 16. Juli 1901) – sogar das beliebte Wiener Jux-Blatt, die „Jörgel-Briefe“ (eigentlich Hans Jörgel von Gumboldskirchen), sah eine Steilvorlage für einen spitzen Seitenhieb: „Der Mann scheint ein eigen’s Faible für die hohe Aristokratie z’haben. Ein paar mißgünstige Collegen behaupten übrigens, daß er bei seinen Compositionen weniger auf die Melodie schaut, sondern daß ihm d’Hauptsach’ die Begleitung is.“ (25. Juli 1901, S. 6). Während die in der Wiener Presse genannten Kompositionen (s. unten) nicht überliefert sind, hat ein weiteres Werk dieser Art, das uns wieder in die Region am Mittelrhein führt, die Zeiten überdauert, nämlich die Romanze Ein Traum mit der Zueignung an keinen Geringeren als Seine königliche Hoheit den Sultan von Johor namens Abu Bakar al Khalil (1833–1895). Dieser befand sich 1889 auf Europareise und besuchte, wobei er „das lebhafteste Interesse des Curpublikums“ erregte (Das Vaterland 3. Okt. 1889), erstmals Karlsbad. Nach Beendigung der Kur ging die Reise weiter, und wir vernehmen mit Überraschung, dass der Sultan eine Vorhut in Form seiner „Hofpianistin“ Pura de Castelaro ins Rhein-Main-Gebiet entsandt hatte – sie spielte im Dezember 1889 in Offenbach (nebenbei: in einem Konzert, in dem auch der Andrésche Männerchor auftrat) und fand die Gegend so anziehend, dass sie sich für die folgenden Jahrzehnte in Frankfurt als Klavierlehrerin niederließ. Wichtiger in unserem Zusammenhang: Abu Bakar traf im März 1890 in Frankfurt ein – zuvor hatte der dortige Kunstverein bereits eine „lebensgroße Büste“ des fernöstlichen Monarchen ausgestellt (Frankfurter Zeitung und Handelsblatt 13. Febr. 1890), und als dieser eintraf, wird auch Heinrich Welbs Romanze mit Widmung ganz frisch die Presse verlassen haben. Und: Die „berühmte Brillantagraffe“, die die „hohe Mütze“ des Standbilds Abu Bakars zierte (ebd.), ist durch zahlreiche Porträts bekannt – wer einmal danach suchen möchte, wird eine frappante Ähnlichkeit mit dem (um 180 Grad zu drehenden) „T“ auf dem Titel der Romanze von Heinrich Welb erkennen. Überhaupt hat man (also wohl der Komponist) bei der Gestaltung der ungewöhnlich prachtvollen Ausgabe Mühen und Kosten nicht gescheut; man wüsste gerne, wie der Sultan, der wenig später bei einem Wohltätigkeitskonzert in Karlsbad freiwillig 100 Gulden Eintritt zahlte, sich erkenntlich zeigte.

Das Ende Heinrich Welbs entbehrt nicht einer gewissen Tragik, deren Hintergründe uns vorläufig verschlossen bleiben: Seine aus Wien stammende Gattin, die Kleidermacherin Bertha geb. Huss, mit der er Ende Mai 1902 in Frankfurt die Ehe geschlossen hatte, verstarb bereits einen Monat später in einem Hospital; Welb selbst folgte ihr im November nach, nachdem er noch im Juli und August in der Kurkapelle von Bad Peterstal im Schwarzwald eine Anstellung als Solicellist gefunden hatte.

WerkeEin Traum. Romanze (Vc., Kl.; Widmung an den „Sultan von Johore“) op. 3, Offenbach: André (in Kommission; später von André übernommen) [1890]; D-OF (s. Abb.) <> Huldigungs-Marsch (Kl.; Widmung an Justizrat Dr. jur. Diehl) op. 5, ebd. (in Kommission) [1890]; D-OF <> Fest-Klänge (Kl.; Widmung an Erzherzogin Marie und Erzherzog Rainer zur Goldenen Hochzeit) op. 17, Wien: Krämer [1902]; A-Wst, D-B <> Vermutlich ist der Marsch Deutsch sei’s Panier (Kl.) op. 18 (Leipzig: Teich [1899]; A-Wn (auch Ms.; s. RISMonline), D-B, D-Dl (spätere Ausgabe)) ebenfalls unserem Heinrich Welb zuzuweisen; weitere „2 hübsche Märsche für Clavier componirt“ bot er André im Jahre 1902 vergeblich an (Erzherzog Carl Franz Joseph-Marsch op. 19 und Huldigungsklänge op. 21, beide nicht überliefert)

Quellen — Zivilstands- und Standesamtsregister Frankfurt <> Adressbücher Frankfurt <> Briefe an André in Offenbach (3, 1902); D-OF <> Karlsbader Kurliste 23. Sept. 1889, 24. Mai 1890; Prager Tagblatt 23. Sept. 1889; Das Vaterland (Wien) 3. Okt. 1889; Frankfurter Zeitung und Handelsblatt 10. Dez. 1889, 13. Febr. 1890, 20. Aug. 1890, 30. Aug. 1890, 15. Dez. 1891 (2. Morgenblatt), 20. Dez. 1893 (2. Morgenblatt), 24. Jan. 1894 (3. Morgenblatt); Grazer Volksblatt 30. März 1890; Österreichische Badezeitung (Wien) 8. Juni 1890; Fremdenblatt (Wien) 15. Juni 1890; Wiener Zeitung 23. Mai 1891, 26. Apr. 1895; Illustirtes Wiener Extrablatt 16. Juli 1901, 15. Sept. 1901; Hans Jörgel von Gumboldskirchen (Wien) 25. Juli 1901

Abbildung 1: Titel der Romanze Ein Traum; D-OF

Abbildung 2: Stempel Welbs auf einem Brief an André (18. Juni 1902); D-OF


Axel Beer

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  • Zuletzt geändert: 2023/09/21 15:21
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  • angelegt 2023/07/25 17:33