Hans Werner Henze
HENZE, HANS WERNER * Gütersloh 1. Juli 1926 | † Dresden 27. Oktober 2012; Komponist, Autor
Hans Werner Henze, Sohn eines Lehrers und Laien-Bratschisten, wuchs im Kreis von vier jüngeren Geschwistern und unter dem Eindruck nationalsozialistischer Aktivitäten seines Vaters auf. Nach schulischer Bildung in Bielefeld studierte er zunächst bei Wolfgang Fortner (1907–1987) in Heidelberg (bis 1948). Besuche der Darmstädter Ferienkurse, die Wahrnehmung unterschiedlichster Konzerte und Aufführungen sowie Begegnungen mit musikalischen Größen seiner Zeit prägten maßgeblich den weiteren Lebensweg, vor allem aber die kompositorische Arbeit.
Im Oktober 1950 bekam Henze – auf eigenes Ersuchen hin – eine Anstellung am Hessischen Staatstheater Wiesbaden; er fungierte dort als künstlerischer Leiter des Balletts. Der Vertrag übertrug ihm die Verantwortung für Schauspiel- und Ballettmusik, die zum Großteil eigens komponiert werden sollte, und zwar für das neu eingerichtete Kleine Haus. Zu dessen feierlicher Eröffnung wurden 1950 Henzes Sinfonische Variationen uraufgeführt, unter teils widrigen Umständen: Ein übereifriger Stadtkämmerer, „Herr Roos (dessen Namen ich mir gemerkt habe fürs Jüngste Gericht)“ (Böhmische Quinten, S. 116), entfernte eigenmächtig Instrumente aus dem Saal. Für eine Aufführung von Beaumarchais’ Der tolle Tag komponierte Henze außerdem rund 60 kleinere Stücke (Tänze, Lieder, Zwischenmusiken) – von denen allerdings einige wegen angeblicher Nicht-Singbarkeit gestrichen wurden.
Als Leiter des Balletts produzierte Henze einige Werke für die Bühne. Zunächst realisierte er sein bereits 1949 vollendetes Ballett Jack Pudding (1. Jan. 1951), es folgten Die schlafende Prinzessin (1951), Labyrinth (1951) und Der Idiot (1952), deren Uraufführungen jedoch an anderen Orten stattfanden. 1951/52 entstanden hier auch das „Ballett in Romanform“ Boulevard Solitude, uraufgeführt in Hannover, und die Funkoper Ein Landarzt – A Country Doctor, urgesendet beim NWDR Hamburg. Henze schrieb auch mehrere Bühnenmusiken für das Wiesbadener und andere Ensembles; hinzu kommen einige kleinere Instrumentalwerke und ein Klavierkonzert. Er selbst berichtet außerdem von einem nach eigener Aussage „spielbaren!“ Klavierauszug zu Strawinskys Danses Concertantes, der aber „leider in den Archiven der Wiesbadener Oper oder an einem anderen Ort verschollen ist“ (Böhmische Quinten, S. 127). Zur Eröffnung der Spielzeit 1951/52 erklang im Großen Haus seine Dritte Sinfonie als Begleitmusik zu einer Choreographie mit dem Titel Anrufung Apolls. Aufgrund von Fehlern in der Verwaltung – man hatte versäumt, Termine für Ballettaufführungen im Kleinen Haus zu reservieren, so dass das Ressort Schauspiel die Räumlichkeiten für sich vereinnahmte – reduzierten sich Henzes Aktivitäten aber recht bald, so dass dieser das Staatstheater nach eigener Aussage schon 1952 „wohl nur noch zum Abholen der Gage“ betrat (Böhmische Quinten, S. 131).
In der Wiesbadener Zeit lernte Henze weitere Künstler von Rang kennen, darunter auch Ingeborg Bachmann (1926–1973), mit der ihn bis zu ihrem Tod 1973 eine enge künstlerische Freundschaft verband. Die Unzufriedenheit mit der beruflichen Situation sowie die von der Öffentlichkeit überwiegend kritisch gesehene Homosexualität Henzes führten dazu, dass er 1953 Wiesbaden verließ und – zusammen mit Bachmann – nach Italien zog, zunächst nach Forio (Ischia), später nach Neapel und Castel Gandolfo. Schließlich ließ er sich in Marino bei Rom dauerhaft nieder, wo er ab 1964 in enger Gemeinschaft mit Fausto Moroni (1944–2007) lebte. Von Italien aus bereiste Henze in dichter Abfolge zahlreiche Städte in und außerhalb Europas, sei es, um (Ur-)Aufführungen seiner Werke beizuwohnen (etwa in Darmstadt, Frankfurt/M., Donaueschingen etc.), Kompositionskurse zu leiten, sich politisch zu engagieren (u. a. für SPD und DKP) oder als Dirigent aufzutreten, um nur einige seiner zahlreichen Aktivitäten zu nennen. 1988 rief er die Münchener Biennale für Neues Musiktheater ins Leben. Henze konnte im Lauf der Jahre zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen entgegennehmen, darunter die Ehrendoktorwürde der Universität Osnabrück und das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern. Er starb in Dresden, wurde aber in Marino bestattet.
Werke — Fast alle Kompositionen erschienen im Verlag Schott International, Mainz; dort wurde 2013 ein Verzeichnis der im Verlag gedruckten Werke veröffentlicht. <> ausführliche Werkverzeichnisse: Rexroth 1986 (s. u.), S. 341–379; Petersen 2022 (s. u.), S. 137–173
Schriften — Ausführliches Schriftenverzeichnis: Petersen 2022 (s. u.), S. 174–179 <> hervorzuheben ist: Musik und Politik. Schriften und Gespräche 1955–1984, München 1984 (darin aufgegangen: Essays, 1964; Schriften und Gespräche, 1976, 1981)
Quellen — Hans Werner Henze, Reiselieder mit böhmischen Quinten. Autobiographische Mitteilungen 1926–1995, Frankfurt/M. 2001 (Erstdruck: 1996) <> zahlr. Berichte über Aufführungen von Werken Henzes im Wiesbadener Tagblatt und anderen Tageszeitungen
Literatur (Auswahl) — Robert Henderson, Art. Henze, Hans Werner, in: NGroveD <> Peter Petersen, Art. Henze, Hans Werner, in: MGG Online <> Harold Blumenfeld, Hans Werner Henze, in: The International Cyclopedia of Music and Musicians, hrsg. von Oscar Thompson, New York, Toronto u. London 1975, S. 957–960 <> Der Komponist Hans Werner Henze, hrsg. von Dieter Rexroth, Mainz u. a. 1986 <> Christian Bielefeldt, Hans Werner Henze und Ingeborg Bachmann: Die gemeinsamen Werke, Bielefeld 2003 <> Hans Werner Henze und seine Zeit, hrsg. von Norbert u. Elisabeth Schmierer, Laaber 2013 <> Peter Petersen, Hans Werner Henze. Ein Handbuch, München 2022 (mit ausführlicher Bibliographie, S. 221–242)
Abbildung: (von rechts) Hans Werner Henze mit seinen Verlegern Ludwig und Willy Strecker, Fotographie aufgenommen Anfang der 1950er Jahre im Verlagshaus Weihergarten; D-MZsch (mit freundlicher Genehmigung)
Bernd Krause