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BRANDMÜLLER, THEODOR RABANUS (gen. Theo) * Mainz 2. Febr. 1948 | † Saarbrücken 26. Nov. 2012; Komponist, Organist und Hochschullehrer

Theo Brandmüller wurde als erster von zwei Söhnen des Kunsterziehers und Künstlers Leo Brandmüller und seiner Frau Maria geboren. Die Familie wohnte zunächst im Mainzer Stadtteil Gonsenheim, später im Münchfeld und legte viel Wert auf die katholische Erziehung, sodass Theo viele Jahre als Messdiener an St. Johannes Evangelist diente, bevor er Jahre später an gleicher Stelle auf die Orgelbank wechseln sollte. Die musikalische Begabung des Jungen – geweckt vom Onkel, der als Klavierstimmer tätig war – war offensichtlich und wurde gefördert. Mit elf Jahren legte der Junge seinen ersten Werkzyklus vor: Musikalische Poesie. Seinen ersten öffentlichen Musikabend gab Brandmüller als Schüler des Mainzer Rabanus-Maurus-Gymnasiums, wo sein wichtigster Lehrer und Förderer Franz Bösken war. Die letzten beiden Schuljahre verbrachte Brandmüller auf dem damals musikalisch orientierten Gauß-Gymnasium in Worms. Schon als Kind besuchte er in Mainz die Serenadenkonzerte im Schott-Verlag und die Reihe Musica viva des Südwestfunks. Brandmüller studierte zunächst Schulmusik, später Kirchenmusik und Orgel an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, schließlich – auf Anraten des Freunds und Mentors Günther Kehr – an der damaligen Nordwestdeutschen Musikakademie Detmold (Staatliche Hochschule für Musik) und verfasste 1971 eine Abschlussarbeit zum musikalischen Humor in der Wiener Klassik. Komposition studierte Brandmüller bei Werner Fussan (Mainz) und Giselher Klebe (Detmold), ab 1975 im Aufbaustudium „Instrumentales Theater“ in Köln bei Mauricio Kagel und ab 1976 im Rahmen eines Stipendiums der Deutschen Studienstiftung und später des DAAD in Paris. Dort erhielt Brandmüller Orgelunterricht bei Gaston Litaize, Komposition studierte er bei Olivier Messiaen. In Paris lernte er Odile Barbier (* Dreux 13. Aug. 1955) kennen, die er 1979 heiratete und mit der er zwei Kinder bekam. Schon 1972 begegnete er außerdem bei einer Spanienreise in Madrid dem Komponisten Cristóbal Halffter, mit dem ihn fortan eine enge Künstlerfreundschaft verband. Seine erste Stelle als Kirchenmusiker hatte Brandmüller schließlich in St. Georg Mainz-Bretzenheim inne. Hier organisierte er Konzertreihen, lud namhafte Organisten – u. a. Gaston Litaize – ein und spielte selbst die in Paris erlernten Werke in Gottesdienst und Konzert.

1979 gelang ihm der internationale Durchbruch mit Ach trauriger Mond – komponiert 1977 für Günther Kehr und das Mainzer Kammerorchester und für die Weltmusiktage in Athen ausgewählt. Brandmüller erhielt im gleichen Jahr den Rompreis der Villa Massimo und eine Professur an der damaligen Musikhochschule des Saarlandes – zunächst noch für Musiktheorie, 1984 für Komposition, Analyse und Orgelimprovisation. 1982 wurde Brandmüller Titularorganist der evangelischen Ludwigskirche in Saarbrücken, was er bis zum Ende seines Lebens bleiben sollte. Im gleichen Jahr bekam die Ludwigskirche eine neue Orgel (Beckerath), an deren Intonation der Organist aktiv mitwirkte. Das Instrument wurde zu seinem „Laboratorium“ (Friedrich Spangemacher, Creator, Spiritus, Musicus: Theo Brandmüller. Eine Biographie, Saarbrücken 2013, S. 80): Hier experimentierte, improvisierte und komponierte er. Vor allem Aspekte des Klangs und der Klangfarbe interessierten ihn. Inspiriert von den Obertonstrukturen der Orgel entwickelte er seine Technik der „Innenklänge“. Seine Werke hatten häufig einen äußeren „Anreger“, wie Texte (hervorzuheben sind Federico García Lorca und Christian Morgenstern), Bildende Kunst, Lichtklänge oder Alltäglichkeiten wie ein Faxgerät – und regelmäßig wurden seine Werke durch eine Portion Witz und Humor begleitet.

Brandmüller blieb bis zu seinem Tod als Organist gefragt und konzertierte regelmäßig im In- und Ausland. Auch seine Kompositionsklasse erfreute sich großer Beliebtheit und viele Komponistinnen und Komponisten erhielten hier ihre Ausbildung (Tobias Schwencke, Lin Wang, Karola Obermüller, Akemi Kobayashi, Marc Schubring, Thorsten Hansen, Zeynep Gedizlioğlu, Kathrin Denner). Schon während seines eigenen Studiums in Detmold hatte Brandmüller begonnen, gemeinsam mit Christoph Martin Redel junge Komponierende in Schloss Weikersheim zu betreuen, was er bis zum Ende seines Lebens fortführte. Aber auch die regionale Musikszene gestaltete Brandmüller maßgeblich mit. Manche Veranstaltungen, wie die von ihm initiierte Saarbrücker Komponistenwerkstatt, strahlen dabei weit über saarländische Grenzen hinaus. Er engagierte sich im Berufsverband der Komponisten und war Mitglied in verschiedenen Ausschüssen der GEMA. 1986 erhielt er den Kunstpreis des Saarlandes und 1998 den Kunstpreis des Landes Rheinland-Pfalz. Seit 2021 ist seine Grabstätte Teil einer Klanginstallation der Donaueschinger Musiktage („Am Grabe ∣ Aus der Ferne“, digital).

Werke (Auswahl; eine vollständige Auflistung findet sich bei Friedrich Spangemacher, Creator, Spiritus, Musicus: Theo Brandmüller. Eine Biographie, Saarbrücken 2013) — Fünf Details (Kl.), Berlin: Boosey & Hawkes [1972] <> Musik der Stille und Obertöne (Vl., Vlc., Kl., Schlagzeug), ebd. [1972] <> Aphorismen (Klar., Kl.), ebd. [1972] <> Apokalyptische Vision (Bst., Org.), ebd. [1975] <> Cantico delle Creature (A, Org.), Tel Aviv: Israeli Music Publications [1975/76] <> Ach trauriger Mond (Schlagzeug, Str.), Berlin: Boosey & Hawkes [1977] <> Dramma per Musica (gr. Orch.), ebd. [1979/80] <> Konzert für Orgel und Orchester, ebd. [1981] <> Zeit-Enden (gr. Orch.), ebd. [1981] <> Innenlicht (Org.), ebd. [1982] <> Sieben Orgelstücke zur Passionszeit (Org.), ebd. [1983] <> Enigma I (Vl., Org.), Wiesbaden: Breitkopf & Härtel [1989] <> Konzert auf dem E-Zweig (Vla.), unveröffentlichtes Manuskript [1991] <> Cis-umsungend. 4 Klangfabeln für Chor und Orgel, Wiesbaden: Breitkopf & Härtel [1995] <> Löwe, leih mir deine Stimme. Luzifer-Monodram (Bar., S-Sax., A-Sax., Schlagzeug, Synthesizer, Akk., 3 Vc.), ebd. [1999/2000] <> Lass den Balkon geöffnet. 5 Nachtrufe für Orchester ebd. [2004/2005] <> Ruf-fanfaré für »W« (é) für Klarinette mit Lichtklang (Klar., Org.), unveröffentlichtes Manuskript [2012]

Quellen — Nachlass im Saarländischen Landesarchiv in Saarbrücken

Literatur — Joachim Dorfmüller, Impulse von Perotin bis Messiaen. Zum Schaffen Theo Brandmüllers für und mit Orgel, in: Musica Sacra 100/2 (1980), S. 316–319 <> Joachim Dorfmüller und Theo Brandmüller, Zeitgenössische Orgelkomposition: Theo Brandmüller (Vorträge), hrsg. in Zusammenarbeit mit der Rabanus-Maurus-Akademie, Mainz 1982 <> Josef Oehrlein, Ein Komponist, von Dichtern beeinflußt. Theo Brandmüller läßt sich keiner gängigen Schule „zuordnen“, in: Neue Musikzeitung 32/1 (1983), S. 28 <> Jörg Nonnweiler, Analyse der „7 Orgelstücke zur Passionszeit“ nach Reliefs von Richard Heß von Theo Brandmüller, in: Musica Sacra 107/2 (1987), S. 142–147 <> Theo Brandmüller, Arrièregarde – Avantgarde. Texte zur Musik 1980–1998, hrsg von Stefan Fricke, Wolf Frobenius, Sigrid Konrad und Friedrich Spangemacher, Saarbrücken 1998 (Quellentexte zur Musik des 20. Jahrhunderts 6,1) <> Stefan Fricke, Kiss me cis. Anrisse über Theo Brandmüllers Musik, in: Saarbrücker Hefte 79/80 (1998), S. 133–135 <> Daniela Philippi, Komponieren als innere Notwendigkeit des „homo ludens“. Zum 50. Geburtstag des Komponisten Theo Brandmüller, in: Musik und Kirche 68/1 (1998), S. 49–51 <> Daniela Philippi, Theo Brandmüllers „Missa“ in der Sprache unserer pluralistischen Zeit, in: Musica Sacra 118/1 (1998), S. 57–63 <> Friedrich Spangemacher, Theo Brandmüller zum Fünfzigsten. „Innenlicht“ und „Les Grottes des Eyzies“. Theo Brandmüller und die Orgel. Ein Gespräch mit Friedrich Spangemacher, in: Musica Sacra 118/1 (1998), S. 50–53 <> Stefan Fricke, Theo Brandmüller, in: MGG2P (2000) <> Farbe – Klang – Zeit. Imaginationen im Raum. Theo Brandmüller improvisiert an der Beckerath-Orgel der Ludwigskirche Saarbrücken zu der Karton-Collage „Marburgprojekt 2003/4“ von Jo Enzweiler, hrsg, von Heinzjörg Müller, Saarlouis 2004 (Beiträge zur Interdependenz von bildender Kunst und Musik 1) <> Daniela Philippi, „Die Orgel erzieht die Seele“. Das Orgelschaffen von Theo Brandmüller, in: Organ 11/3 (2008), S. 32–41 <> Thomas Daniel Schlee, Wege gegen die Orientierungslosigkeit. Theo Brandmüller zum 60. Geburtstag, in: Musik und Kirche 78/1 (2008), S. 48–49 <> Theo Brandmüller, Komponieren ohne Bleistift. Improvisation an der Orgel, in: Neue Zeitung für Musik 170/1 (2009), S. 38–39 <> Vingt regards sur Theo. Der Komponist, Organist und Hochschullehrer Theo Brandmüller, hrsg. von Jörg Abbing und Sigrid Konrad, Saarbrücken 2013 <> Wolfram Adolph, Eine große Musikerpersönlichkeit. Zum Tode von Theo Brandmüller, in: Musik und Kirche 83/2 (2013), S. 179 <> Moritz Eggert, Ganz nahe bei den großen „Musikanten“, in: Neue Musikzeitung 62/2 (2013), S. 6 <> Friedrich Spangemacher, Creator, Spiritus, Musicus: Theo Brandmüller. Eine Biographie, Saarbrücken 2013

Abbildung: Theo Brandmüller bei einem Orgelfestival in der nordspanischen Stadt León in den achtziger Jahren; Foto: Josef Oehrlein


Anne Melzer (Dank an Odile Brandmüller und Josef Oehrlein für ihre Unterstützung)

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