Hans Schmidt


SCHMIDT, HANS (getauft als Johannes Valentin) * Fellin (Viljandi, Estland) 6. Sept. 1854 (nicht 1856) | † Riga 29. Aug. 1923; Pianist, Komponist, Schriftsteller

Ohne Zweifel war es eine in jeder Hinsicht gut situierte Familie, in die Hans Schmidt hineingeboren wurde: Vater Gustav (1810–1874) – er leitete eine Knabenerziehungsanstalt – und Mutter Amalie geb. Lenz (1814–1905) – Pfarrerstochter und verwandt u. a. mit dem Musikschriftsteller Wilhelm von Lenz – ermöglichten dem Filius, seine geistigen Gaben zur Entfaltung zu bringen. Professionellen Musikunterricht erhielt er zunächst vom Familienfreund und städtischen Organisten Carl Gustav Theodor Mumme, und im November 1875 erfolgte die Einschreibung am Leipziger Konservatorium, wo ihm seine Lehrer (u. a. Julius Lammers (Klavier), Carl Piutti (Orgel), Ernst Friedrich Richter (Musiktheorie)) weit überdurchschnittliches Talent attestierten – insbesondere Salomon Jadassohn sprach im Zeugnis vom 9. Jan. 1878 von „ganz entschiedener Begabung“ des jungen Komponisten; dass bereits wenige Monate später das Opus primum Hans Schmidts (Lieder auf eigene Texte) veröffentlicht wurde, ist kaum überraschend, wobei wir noch nicht wissen, auf welchem Wege schon zu diesem frühen Zeitpunkt der Kontakt zu André in Offenbach, dem späteren Hauptverlag, zustande kam. Um die Mitte des Jahres 1878 fungierte Schmidt als Klavierbegleiter beim Debüt seines Jugendfreunds Raimund von Zur Mühlen (1854–1931) im heimatlichen Riga und hatte somit prägenden Anteil bei der Herausbildung des Konzertformats ‚Liederabend‘ – dies als Musiker und Komponist wie auch Textdichter. Noch im selben Jahr fand Schmidt eine Anstellung als Hauslehrer der Söhne Amalie und Joseph Joachims in Berlin, wo er nicht nur in die (der Öffentlichkeit nicht verborgenen) Zwistigkeiten der Eheleute hineingezogen wurde, sondern auch Johannes →Brahms kennenlernte, der seinerseits Schmidt ermutigte, sich gegen Ende des Jahres 1879 in Wien niederzulassen – während der erwünschte Theorie-Unterricht bei Gustav Nottebohm wohl eher spärlich ausfiel, gelang es Schmidt, als Klavierlehrer (u. a. von Ilona Eibenschütz) Fuß zu fassen. Dennoch kehrte er alsbald nach Fellin zurück, da sich nach der Veröffentlichung seiner ersten Talentproben als Feuilletonist in der Revalschen Zeitung (ein Bericht aus Wien im November 1880) offenbar diesbezügliche Karrierechancen boten. Als Abschiedsgeschenk an Johannes Brahms übersandte Schmidt im Mai 1881 seine gerade eben – wiederum bei André in Offenbach erschienene – Sammlung von Gedichten und Uebersetzungen; der geradezu überschwengliche Dank für die „ganz unerwartete und ernstliche Freude“ (Brief Brahms’ vom Sommer 1881; zit. nach Kalbeck, S. 299) mündete unmittelbar in die Vertonung dreier Texte, die wenig später innerhalb der Liedersammlung op. 84 erschienen.

Den Winter 1881/82 verbrachte Schmidt in Frankfurt; sicherlich hatte ihn Raimund von Zur Mühlen, der seit 1880 in der Mainmetropole (den Adressbüchern zufolge als Privatier) ansässig war und sich in Verbindung mit Clara Schumann und Julius Stockhausen am Konzertleben beteiligte, hierzu ermutigt und ihm auch Logis in seiner Wohnung ermöglicht. Die erhoffte Anstellung, von der die Revalsche Zeitung im November 1881 berichtete, kam hingegen nicht zustande, und Schmidt kehrte 1882 aufs Neue in seine Heimat zurück; seit Beginn des Jahres 1883 war er als Organist und Musikdirektor in Arensburg auf der estnischen Insel Ösel (Kuressaare auf Saaremaa) tätig, bevor er sich im August 1885 endgültig in Riga niederließ und als Musikreferent für die Tagespresse arbeitete, daneben auch als Leiter einer musikalischen Amateurgesellschaft sowie als Musiklehrer. Auch nahm er die Zusammenarbeit mit Zur Mühlen, der sich inzwischen zu einer Konzertreise aufgemacht hatte, wieder auf – im Januar 1888 ließen sich beide einmal mehr in Frankfurt hören. Im Winter 1892/93 gastierte Schmidt ein weiteres Mal in der Rhein-Main-Region – in Wiesbaden in einem Konzert, an dem auch Hugo Becker beteiligt war, erneut an der Seite Zur Mühlens (vgl. die Abbildung), dann in gleicher Funktion bei mehreren Auftritten seiner ‚alten Bekannten‘ Amalie Joachim im Januar und Februar 1893 in Frankfurt, der er hier als „feinsinniger Künstler“ „treffliche Unterstützung“ bot (Frankfurter Zeitung und Handelsblatt 3. März 1893), und schließlich noch einmal gemeinsam mit Zur Mühlen im Januar 1894, wobei das Frankfurter Publikum die von Hans Schmidt getexteten und komponierten Lieder als „muthige Erzeugnisse eines Künstlers“ (Frankfurter Zeitung und Handelsblatt 28. Jan. 1894) erleben konnte. Später scheint Hans Schmidt die mittelrheinische Gegend nicht mehr besucht zu haben; mit seinem Verleger André arbeitete er hingegen noch ausgangs der 1890er Jahren zusammen.

WerkeKompositionen (Liedtexte sämtlich vom Komp.): Acht Kinderlieder (Sst.; Kl.; Draussen im Garten, Des Abends, Im Frühling, Im Winter, Vor Weihnacht, Im Sommer, Im Herbste, An der Wiege; Rosa von Holst geb. Cayard gewidmet) op. 1, Offenbach: André [1878] (auch spätere Auflagen); D-B, D-Kbeer (Nr. 5), D-Mbs (Nr. 1 u. 8), D-MZmi (Nr. 1), D-OF, LV-Rg – „frei übertragen“ für Klavier solo von Heinrich Ordenstein <> Sechs Lieder (Sst., Kl.; Nachtgesang, Im Volkston, Im Frühling, Wartend, Frage, Herbstklage; Raimund von Zur Mühlen gewidmet) op. 2, ebd. [1878]; CH-Bu, D-B, D-OF, EV-TAu (Nr. 8), LV-Rg <> Aus jungen Tagen. Eine Reihe kleiner Charakterstücke (Kl.; Eingesungen, Im Mutterarm, Klage unter Schluchzen, Auf dem Knie reitend, Heiterer Morgen, Trüber Abend, Erster Frühlingstag, Zwiegesang. Canon über ein Münsterisches Volkslied, Schlimme Verwickelung, Freundliche Lösung, Tausend und eine Nacht, Tanzlust, Kleine Schwärmerei, Fremder Bettler. Rumänische Melodie, In der Dämmerstunde, Erste Verse, Zigeuner spielen auf, Der Nachtigall lauschend, Junger Uebermuth, Der Ernst beginnt, Frisch daran. Fuge) op. 3, ebd. [1882]; D-B, D-OF, LV-Rg <> Weisen fremder Völker mit hinzugedichtetem Texte (Kl.; „Herrn und Frau Schütt in dankbarer Verehrung gewidmet“) op. 4, ebd. [1879]; ehem. D-B, D-Sl, LV-Rg <> Liebeslieder (Sst., Kl.; Die Birken, Im Sommer, An die Nachtigall, Die Nonne, Früh am Tage, Der Liebste schläft, Botschaft, Der Spielmann) op. 5, ebd. [1880]; D-B, D-Mbs, D-OF, LV-Rg <> Vier Duette (2 Sst., Kl.; Die Kornblume, Die Linde, Der Kranz, Die Sense) op. 6, Leipzig: Breitkopf & Härtel [1880]; EV-TAu, LV-Rg <> Ländliche Lieder (Sst., Kl.; Der Regen, Das Morgenroth, Die Lerche, Die Welle, Die Aehren, Der Reigen, Die Schwalbe) op. 7, Hamburg/Leipzig: Rahter [1881]; A-Wn, D-B, LV-Rg <> Einsame Lieder (Sst., Kl.; Der Vogel, Der Schnee, Der Hirtenknabe, Das Echo, Der Sonnenschein, Die Wiege, Der Strauss) op. 8, ebd. [1881]; D-B, EV-TAu <> Fünf Lieder (Sst., Kl.; Der Jäger, Morgenthau, Fürchte nicht, Jesu benigne, Dem Kind zur Nacht; „Frau Amalie Joachim in hoher Verehrung“) op. 9, Berlin: Simrock [1884]; A-Wn, EV-TAu, D-B <> Holder Abendschein und andere Lieder (Sst., Kl.; Holder Abendschein, Zu Tanz, Station, Die Waise, Waldruf, Zum Abschied; „Frau Caroline von Guaita freundschaftlich zugeeignet“) op. 10, Offenbach: André [1887]; A-Wn (Nr. 2), CH-Bu, D-B, D-OF <> Lieder und Romanzen (Sst., Kl.; Waldesrauschen, Vogellehre, Ade, Das Bächlein, Nachts am Felde, Die Schäferin; „Der Frau Gräfin Marie zu Rantzau-Bismarck zugeeignet“) op. 11, Berlin: Bote & Bock [1890]; CH-Bu, D-B, EV-TAu, EV-TALg (Nr. 1 u. 2), LV-Rg <> Hirtenweise (Sst., Kl.) op. 12, ebd. [1893]; D-B, EV-TAu, LV-Rg <> Neue Reime und Weisen (Sst., Kl.; Die Wachtel, Das Stelldichein, Die Nachtigall, Im Wandern; „Fräulein Monika Hunnius in aller Freundschaft zugeeignet“) op. 13, ebd. [1894]; D-B, EV-TAu, LV-Rg <> Vier Lieder (Sst., Kl.; Spiel’ mir auf, Der Einen, Einst und Jetzt, Frühlingsgruss; „Fräulein Louise Mulder zugeeignet“) op. 14, Offenbach: André [1898]; D-B, D-Mbs, LV-Rg (Nr. 4) <> Zwei Lieder (Sst., Kl.; Untreue, Fabel; „Frau Mathilde Lohse zugeeignet“) op. 15, ebd. [1898]; D-B, D-Mbs, LV-Rg <> Albumblatt (Kl.), Riga: Neldner [1892]; D-B – Nachdruck Berlin: Bote & Bock [1914]; D-B, EV-TAu <> Wiegenlied auf eine altenglische Melodie („Mrs. James Hill freundschaftlich zugeeignet“), Offenbach: André [1897]; D-B, D-Mbs, D-OF, LV-Rg <> 50 Lieder und Gesänge, 2 Bde. (als Sammlung bereits erschienener und neuer Kompositionen), ebd. [1898]; D-B, D-DTbhm, EV-TAu, EV-TALg (Bd. 2), PL-Wn (Bd. 2; digital), LV-Rg <> Ungedruckt blieben eine Klaviersonate aus der Studienzeit (s. Musikalisches Wochenblatt 7. Juni 1878) und eine Salon-Polka (s. Wiener Allgemeine Zeitung 11. Nov. 1881). Weitere gedruckte Kompositionen und Sammlungen sind unserem Hans Schmidt wohl nicht zuzuweisen. Dies gilt vor allem für die bei Grüninger in Stuttgart (auch als Beilagen zur Neuen Musik-Zeitung) erschienenen Werke, die zweifellos von dem 1866 in Halle geborenen Hans Schmidt (der gleichwohl wie sein Namensvetter in Riga tätig war; vgl. Jansa 1911) herrühren; auch die bei Oppenheimer in Hameln, Steingräber in Leipzig und Bauer in Braunschweig unter Hans Schmidt veröffentlichten Werke dürften eher auf Letzteren oder einen anderen Tonsetzer des Namens zurückgehen. Dass bereits 1888 Verwechslungen bekannt wurden, sei nur erwähnt (s. Revalsche Zeitung 14. Mai 1888). <> Schriften: Gedichte und Uebersetzungen, Offenbach: André [1881]; D-Kl (digital) <> Aus der österreichischen Kaiserstadt (Wien Nov. 1880), in: Revalsche Zeitung 26. Nov. 1880 <> Eine Liszt-Feier in Wien, in: Revalsche Zeitung 16. Apr. 1881 <> Amalie Joachim, in: Musikalisches Wochenblatt 12. und 19. Apr. 1883, S. 198–199, 210–212 (zuvor in der St. Petersburger Zeitung) <> weitere Titel (v. a. Herausgaben und Übersetzungen, auch Liedtexten anderer Komponisten) s. Scheunchen <> Liedtexte Schmidts wurden von Richard Barth (op. 6), Johannes Brahms (op. 84, 94), Adolf Henselt, Richard Heuberger (op. 39), Erik Meyer-Helmund (op. 64, 74) vertont.

Quellen — KB Fellin (luth.) <> Adressbücher Frankfurt <> Hans Schmidt, in: CARLA (abgerufen am 27. Aug. 2025) <> Briefe s. Kalliope – Verträge mit André in Offenbach (4, 1886–1897); D-OF – Briefe Schmidts an Brahms (Wien 30. Mai 1881, Arensburg 28. März 1884); A-Wgm (Brahms-Nachlass) – Brief Brahms’ an Joachim, Wien 26. Nov. 1879 (in: Johannes Brahms im Briefwechseln mit Joseph Joachim, hrsg. von Andreas Moser, Berlin 31908, S. 183–185) <> NN, Hans Schmidt †, in: Dorpter Nachrichten 3. Sept. 1923 <> b.: Ein baltischer Musiker [Nekrolog], in: Frankfurter Zeitung und Handelsblatt 6. Sept. 1923, S. 2 <> Max Kalbeck, Johannes Brahms III. Erster Halbband 1874–1881, Berlin 21912 <> Monika Hunnius, Mein Weg zur Kunst, Heilbronn 1925 <> Musikalisches Wochenblatt 20. Okt. 1876, 1. Juni 1877, 7. Juni 1878, 16. März 1881, 7. Sept. 1882, 22. März 1883, 17. Apr. 1884, 2. Apr. 1885 u. ö.; NZfM 15. Juni 1877, 5. Nov. 1886, 18. Jan. 1893; Harmonie (Offenbach) 21. Dez. 1878; Revalsche Zeitung 4. Sept. 1879, 11. Nov. 1881, 10. Jan. 1883, 15. Jan. 1885, 20. Juni 1885, 14. Mai 1888, 8. Juli 1885, 10. Febr. 1888, 6. Sept. 1888, 21. Sept. 1888, 7. Sept. 1890, 9. Sept. 1892, 4. März 1910 und passim; Frankfurter Zeitung und Handelsblatt 7. Juli 1880 (Abendblatt), 21. Okt. 1880 (Abendbl.), 14. Dez. 1880 (Abendbl.), 1. Jan. 1881 (Morgenbl.), 16. Jan. 1883 (Abendbl.), 21. Febr. 1883 (Abendbl.), 11. Nov. 1885 (Morgenbl.), 27. Jan. 1888 (Abendbl.), 22. Jan. 1893 (1. Morgenbl.), 1. Febr. 1893 (2. Morgenbl.), 3. März 1893 (Abendbl.), 23. Jan. 1894 (Morgenbl.), 28. Jan. 1894 (2. Morgenbl.), 1. März 1902 (2. Morgenbl.); Wiener Allgemeine Zeitung 11. Nov. 1881; Neues Wiener Tagblatt 27. Jan. 1885, 11. Febr. 1885; Wiesbadener Tagblatt 17. Nov. 1892 (Morgen-Ausgabe); Rigaer Tagespresse

Literatur — Art. Schmidt, Hans, in: Moritz Rudolph, Rigaer Theater- und Tonkünstler-Lexikon, Riga 1890 <> Art. Schmidt, Hans Valentin, in: Helmut Scheunchen, Lexikon deutschbaltischer Musik, Wedemark-Elze 2002 (dort weitere Quellen- und Literaturangaben)

Abbildung: Konzertanzeige im Wiesbadener Tagblatt 17. Nov. 1892 (Morgen-Ausgabe)


Axel Beer