MÜLLER, HANS (Emil Felix) * Köln 18. Sept. 1854 | † Berlin 11. Apr. 1897; Musik- und Kunstschriftsteller
Die Begegnung mit dem unscheinbar anmutenden Namen – einer der vielen (und im MMM-Alltag an sich typischen) Zufallsfunde in der regionalen Presse während der Suche nach etwas ganz anderem – öffnet wider Erwarten die Tür zur Prominenz der Zeit: Unter dem Alias Wolfgang Müller von Königswinter war Vater Peter Wilhelm Karl (1816–1873) mit seinen Gedichten und Erzählungen wie auch seinen feuilletonistischen Beiträgen in der Kölnischen Zeitung – er hatte sich nach der Aufgabe seines Arztberufs von Düsseldorf aus 1853 in Köln als Schriftsteller niedergelassen – einer der Lieblingsautoren der Zeit und über die rheinische Gegend, von der viele seiner Texte inspiriert sind, weit hinaus. Daneben ist seine Affinität zur Musik kaum zu übersehen: Gern gesehener Gast der Familie war neben anderen Norbert Burgmüller (dass Müllers Schwester, die Sängerin Wally Müller (1817–1912), mit dem Maler Jakob Becker verheiratet war, der seinerseits Burgmüller portraitierte, sei zur Veranschaulichung des Beziehungsgeflechts erwähnt), in Köln lieferte Müller Ferdinand Hiller Texte zum Vertonen und nahm sogar noch in vorgerücktem Alter „Stunden am Conservatorium“, die er jedoch „nach vielem und langem Nachdenken und Erwägen über das Für und Wider“ alsbald drangab (Brief an Hiller, Köln 4. Sept. 1862). Damals war sein jüngster Sohn Hans acht Jahre alt und pflegte zweifellos bereits mit allen Künsten kindlich-vertrauten Umgang; dass er später studieren würde (Philosophie und Kunstwissenschaften in Bonn und Leipzig), war selbstverständlich, dagegen nicht unbedingt, dass er sich besonders für Musikgeschichte, das Fach seines Leipziger Doktorvaters Oscar Paul, erwärmen würde.
1879, unmittelbar nach der Promotion, nahm Hans Müller seinen Wohnsitz in Frankfurt am Main – er figuriert in den Adressbüchern als „Schriftsteller und Redacteur der Frankfurter Presse“; bereits im März 1880 erregte er überregional Aufsehen, nachdem er es gewagt hatte, Hans von Bülow, der in Frankfurt zugunsten des Bayreuther Wagner-Fonds aufgetreten war, als „grimmige[n] Hagen von Tronje unter den Pianisten“ zu bezeichnen, „unter dessen Fingern die Tasten bluten“, und dessen Spiel er als „kalt wie ein Marmorbild“ empfand (Neue Frankfurter Presse Nr. 140, zit. nach Musikalisches Wochenblatt 12. März 1880, S. 153). Neben der Berichterstattung über das aktuelle Musikleben konzentrierte sich Müller als Privatmann vor allem auf die Musikgeschichte des Mittelalters und veröffentlichte während seiner Frankfurter Zeit einige gewichtige, auch noch heute beachtenswerte Studien hierzu, die gleichfalls überregional in Fachkreisen wahrgenommen wurden, wobei aufgrund der Häufigkeit des Namens der Öffentlichkeit die Identität des Forschers mit dem mitunter bissigen Kritiker wohl verborgen blieb. Bereits 1885 kehrte Müller der Mainmetropole den Rücken und verlegte seinen Wohnsitz (nach einem vorübergehenden Aufenthalt in Karlsruhe) nach Berlin: Er betreute zunächst die Musiksammlung der Königlichen Bibliothek und übernahm nach seiner Ernennung zum Professor (1889) die musikgeschichtlichen Vorlesungen an der Königlichen Hochschule sowie 1893 (zunächst vertretungsweise) die Funktion des Ständigen Sekretärs der Akademie der Künste; die förmliche Ernennung erfolgte im April 1894. Nebenbei folgte Müller seinen schriftstellerischen Neigungen im unterhaltenden Sektor: 1895 erschien unter dem Pseudonym „Müller von der Leppe“ ein (wiederum mittelrheinisch relevanter) Gedichtband Kronberger Liederbuch, zu dem der Maler Norbert Schödl (1842–1912) – er war Gatte von Müllers Schwester Else (1856–1934), was einmal mehr ein Licht auf die bemerkenswerten familiären und kulturellen Verflechtungen wirft – die Illustrationen beisteuerte.
Werke (Auswahl) — Betrachtung über das Studium der Kunstwissenschaft, Köln: Lengfeld 1878 (digital) <> Die Musik Wilhelms von Hirschau. Wiederherstellung, Übersetzung und Erklärung seines musik-theoretischen Werkes (Dissertation), Frankfurt: Teubner 1883 <> Hucbalds echte und unechte Schriften zur Musik, Leipzig: Teubner 1884 <> Bruchstücke aus der mittelalterlichen Musiktheorie, in: Vierteljahresschrift für Musikwissenschaft 1 (1885), S. 170–174 <> Eine Abhandlung über Mensuralmusik in der Karlsruher Handschrift St. Peter pergamen. 29a, Karlsruhe: Gutsch 1886 (= Mittheilungen aus der Grossherzoglich Badischen Hof- und Landesbibliothek und Münzsammlung 6) (digital) <> Lustspiel Der König schläft, Berlin: Mitscher & Röstell 1887 <> Wilhelm Heinse als Musikschriftsteller, in: Vierteljahresschrift für Musikwissenschaft 3 (1887), S. 561–605 <> Wilhelm von Kaulbach […] Erster Band, Berlin: Fontane 1893 (digital) <> Die Königliche Akademie der Künste zu Berlin 1696 bis 1896 […] Erster Theil. Von der Begründung durch Friedrich III. von Brandenburg bis zur Wiederherstellung durch Friedrich Wilhelm II. von Preussen, Berlin: Bong 1896 (digital) <> [als Hans Müller von der Leppe] Kronberger Liederbuch, Frankfurt: Osterrieth 1895
Quellen — Standesamtsregister Berlin <> Adressbücher Frankfurt <> Briefe Müllers (u. a. an Engelbert →Humperdinck und Joseph Joachim) s. Kalliope – Briefe des Vaters an Ferdinand Hiller, in: Aus Ferdinand Hillers Briefwechsel, hrsg. von Reinhold Sietz, Bd. 2, Köln 1961 (S. 20: Brief vom 4. Sept. 1862), sowie Bd. 7, Köln 1970 <> Musikalisches Wochenblatt 12. März 1880, 2. Juli 1885, 16. Jan. 1890, 26. Nov. 1891; Frankfurter Zeitung und Handelsblatt 23. Nov. 1883 (Morgenblatt), 9. Juni 1884 (Abendbl.), 7. Okt. 1885 (Abendbl.), 12. Apr. 1897 (Abendbl.; Todesmeldung), 13. Apr. 1897 (Abendbl.; Nekrolog) u. ö.; Signale für die musikalische Welt Nr. 32 (Mai) 1894, 22. Apr. 1897 (Todesmeldung); Kölnische Zeitung 20. Sept. 1854, 19. Nov. 1854, 12. Nov. 1897 (Todesmeldung) und passim
Literatur — Hermann Arthur Lier, Art. Müller, Hans Emil Felix, in: ADB (online; dort weitere Literaturangaben) <> RiemannL 121961
Abbildung 1: So freute sich Wolfgang Müller von Königswinter mit seiner „liebe[n] Frau Emilie“ öffentlich über die Geburt des gemeinsamen Sohns Hans; Kölnische Zeitung 20. Sept. 1854
Abbildung 2: Müller nach einem Portrait von Hans Koner (1895), in: Max Jordan, Koner, Bielefeld/Leipzig 1901 (= Künstler-Monographien 56), S. 44; D-MÜu (digital)
Axel Beer