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GUHR, CARL (WILHELM FERDINAND) * Militsch (Milicz, Polen; ehemals Schlesien) 30. Okt. 1787 | † Bockenheim (Frankfurt/M.) 22. Juli 1848; Kapellmeister, Operndirektor, Violinist, Pianist, Komponist, Musikschriftsteller

Carl Guhr erhielt bereits in früher Kindheit Instrumentalunterricht von seinem Vater Carl Christoph Guhr, Kantor an der evangelischen Kirche und Lehrer an der Hauptschule in Militsch. Durch den Kontakt des Vaters mit dem Orchester des Reichsgrafen von Maltzahn durfte Guhr bereits im Alter von zehn Jahren „oft Sinfonien“ dirigieren (SchillingE, S. 385). Als Vierzehnjähriger saß er in der gräflichen Kapelle am ersten Pult und schrieb für den Grafen seine ersten Kompositionen. Ein einjähriges Stipendium ermöglichte ihm ein Studium in Breslau. Nach Militsch zurückgekehrt, spielte Guhr drei weitere Jahre in der gräflichen Kapelle. 1807 zog er nach Würzburg, wurde dort Kammermusiker und hörte an der Universität Ästhetik-Vorlesungen. 1808 trat er in Nürnberg seine erste Stelle als Musikdirektor an und spielte in mehreren Konzerten Violoncello und Klavier, außerdem Waldhorn, Klarinette und Bassetthorn. Am Theater lernte er die Primadonna Wilhelmine Epp (1792–1845) kennen, heiratete sie im Februar 1809 und schrieb für sie die Titelrolle seiner Oper Feodore. Vermutlich ebenfalls in Nürnberg erwarb er aus dem Nachlass des 1798 verstorbenen Organisten Leonhard Scholz eine umfangreiche Bach-Sammlung. Im Sommer 1813 ging er als Kapellmeister an das Wiesbadener Theater, erhielt jedoch in Kassel bereits Anfang 1814 ein Engagement als Musik- und Theaterdirektor. 1821 wechselte er als Musikdirektor nach Frankfurt/M. und begann am 1. März seinen Dienst am Nationaltheater. Damit löste er Heinrich Anton Hoffmann ab, der nach dem Weggang von Louis Spohr im September 1819 eine Interims-Direktion übernommen hatte. Im September 1821 wurde Guhr – ebenfalls in Hoffmanns Nachfolge – Leiter der Museumskonzerte. Gleichzeitig trat er solistisch als Pianist und Violinist auf, mehrfach sogar an einem Abend mit beiden Instrumenten, und hatte im Frühjahr 1822 Pläne, gemeinsam mit Johannes Susenbeth eine Musikalienhandlung zu eröffnen. Als Paganini 1829 im Museum konzertierte, analysierte Guhr die neuen Spieltechniken und publizierte seine Beobachtungen in seinem Werk Ueber Paganini’s Kunst, die Violine zu spielen. Damit war der „Schleier der Paganini’schen Virtuosität gehoben“ (SchillingE, S. 388). Mit Paganini, der sich auf seiner Europa-Tournee bis 1831 vorwiegend in Deutschland aufhielt und in Frankfurt einen festen Wohnsitz hatte, pflegte Guhr über mehrere Jahre ein freundschaftliches Verhältnis. Neben seinen Aufgaben als Kapellmeister und Vorsteher der Musikklasse im Museum übernahm er 1842 zusammen mit Carl Malß und Leonhard Meck die Leitung des Theaters, das von nun an Frankfurter Stadttheater hieß. Nach kurzer Krankheit starb er unerwartet in seinem Landhaus in Bockenheim. Er wurde auf dem alten Bockenheimer Friedhof beigesetzt und hinterließ zwei Töchter. Guhr trug seit März 1835 den Titel eines Großherzoglichen Hof-Kapellmeisters.

WerkeVokalmusik: Kyrie C-Dur (4st. gem. Chor, Orch.); D-F (hs. Partitur) <> Kyrie D-Dur (4st. gem. Chor); D-Mbs (hs. Partitur) <> Oper Das Gespenst (Nürnberg 1808, UA Kassel 28. Juli 1815; Originaltitel Deodata); D-F (Ms. der aus Die Vestalin übernommenen Ouvertüre mit autographen Korrekturen um 1815 (unvollst. Part. und Stimmen)) <> Oper Feodore (Nürnberg 1811, UA Nürnberg 1811); D-F (Part.-Ms. ohne Ouvertüre, einzelne Stimmen, autographer KlA. (unvollst.)) – Ouvertüre und Duett „O wann bricht dein holder Mund“ (KlA.) in: Musikalisch-dramatische Anthologie, Frankfurt/M.: Susenbeth, Jg. 1, 1822 (Heft 7 und 8) <> Oper Die Vestalin (Kassel 1814, UA Kassel 3. Juni 1814); D-F (autogr. Ms. einzelner Stimmen) – Cavatine (KlA.) in: Musikalisch-dramatische Anthologie, Jg. 1, 1822 (Heft 9) <> Vorspiel Heinrich der Eiserne (UA Kassel 21. Nov. 1815) <> Festspiel Heinrich der Eiserne (UA Kassel 21. Nov. 1816) <> Festspiel Der 12. August (UA Kassel 1817) <> Oper König Siegmar (UA Kassel 8. Mai 1818 [nicht 1819], EA Frankfurt/M. [1. Fassung]: 1. Sept. 1822, 21. Dez. 1823 [2. Fassung; Überarbeitung durch Guhr und Carl Gollmick]); D-F (Ms. 1818–1823; Partituren und Stimmen mit autographen Korrekturen) – Romanze und Duett (KlA.) in: Musikalisch-dramatische Anthologie, Jg. 1, 1822 (Heft 11) <> Oper Aladin (= Die Wunderlampe), unvollendet (s. Gollmick, Nekrolog, S. 20) <> Instrumentalmusik: Grande Sonate (Kl.) op. 1, Mainz: Schott [1809]; D-Mbs (digital), D-Sl, NL-DHnmi <> Einleitung und Rondo (Kl. 4ms) op. 2, Berlin: Gröbenschütz & Seiler [1827]; D-LEm <> Le Souvenir de Paganini. Premier Concert (Vl., Orch.; Widmung an Friedrich Wilhelm III. von Preußen) op. 15, Mainz u. a.: Schott [1833]; D-F, D-KA, D-Mbs (digital), DK-Kk, E-Mn – UA Frankfurt 25. Dez. 1831 (Didaskalia 5. Jan. 1832) <> Capriccio (Kl.), Berlin: Gröbenschütz & Seiler [vor 1828] <> weitere in der Literatur und in der Presse genannte Instrumental- und Vokalwerke blieben ungedruckt und sind verschollen <> Bearbeitungen: Instrumentierung von Rossinis Stabat mater, zusammen mit Nicolaus Baldenecker (s. Gollmick, Nekrolog, S. 20) <> Herausgabe: Musicalisch-dramatische Anthologie, 1. Jg., Frankfurt: Susenbeth 1822; D-F, D-HEu <> Schriften: Aufsatz (unbetitelt) über die Oper in Kassel, in: AmZ 22. Nov. 1815 <> Fidelio-Ankündigung, in: Kasselsche Allgemeine Zeitung 10. Apr. 1816 <> Ueber Paganini’s Kunst die Violine zu spielen: ein Anhang zu jeder bis jetzt erschienenen Violinschule nebst einer Abhandlung über das Flageoletspiel in einfachen und Doppeltönen, Mainz u. a.: Schott [Vorrede datiert: Nov. 1829]; A-Wn, D-F (digital), D-LEm, Privatbesitz (s. Abb. 2); autographer Entwurf von § 14 in D-Mbs – Übersetzungen: L’Art | de jouer du violon de Paganini […] Paris: Schonenberger, Mainz: Schott [um 1831]; D-F; L’arte di suonare il Violino di Nicolo Paganini, Mailand: Ricordi [1834]; A-Wn; L’Art de jouer du violon de Paganini […] Édition augmentée de 12 études […] par A. Lemarié, Paris: Schonenberger [um 1860]; GB-Lbl; Paganini’s Art of Playing the Violon, with a Treatise on Single and Double Harmonic Notes […] Translated […] by S. Novello […] revised by C. E. Lowe. New edition, London: Novello & Co. [1915]; GB-Lbl <> Erklärung, in: Iris 2. Okt. 1827, S. 784 <> „Das Osterfest zu Paderborn“, große Oper von Aloys Schmitt, in: Frankfurter Conversationsblatt 7. Jan. 1844, S. 26–28

QuellenBriefe und Akten (s. Kalliope): Briefe von André (1807ff.); D-OF <> Prozessakten Verlag Breitkopf & Härtel gegen C. Guhr, Kassel 1817/1818; D-MGs (Bestand 259, Nr. 34) <> Briefe an Rochlitz (Kassel 1818), an einen unbekannten Adressaten (Kassel 1819), an Spohr (Frankfurt 1826, 1828; s. Spohr-Briefe), an I. P. Schmidt (Frankfurt 1831), an F. Hiller (Frankfurt 1842), an Dr. I. Schuster (Frankfurt 1844), an W. Speyer (Entwurf, 1844), an Frau Berly (Frankfurt 1845), an Schott, von C. M. v. Weber (1824), von Lindpaintner (1829 und 1845), von A. Rungenhagen (1841), von Dotzauer (1842), von A. M. W. van Hasselt-Barth (1843), von Caroline Fischer-Achten (1845), von Leopoldine Tuczek (1846), von Francilla Pixis (o. J.), von H. Rudersdorff (o. J.); D-B <> Briefe an Louis Spohr (Frankfurt 1822, 1828) und Brief Georg Dörings an Spohr (1822); D-Kl (s. Spohr-Briefe) <> Brief von Schnyder von Wartensee an Nägeli (1822), in: Schnyder und Nägeli, Briefe aus den Jahren 1822 bis 1835, Zürich 1962, S. 5–6 <> Brief an C. F. Peters (Frankfurt/M. 1824) und von C. F. Peters (2, 1841); D-LEsta (Bestand Musikverlag Peters) <> Brief an Ferdinand Simon Gaßner (Frankfurt/M., 1825); D-HEu <> Brief von Fanny Hensel an Felix Mendelssohn Bartholdy (Berlin 1830), in: Briefwechsel 1821 bis 1846, hrsg. von Eva Weissweiler, Berlin 1977, S. 114; Brief von Felix Mendelssohn an Fanny, Frankfurt/M. 1837, ebd., S. 261–263; Brief von Felix Mendelssohn Bartholdy an Fanny, Frankfurt/M. 1839, ebd., S. 308–310 <> Brief an Schnyder von Wartensee (Frankfurt/M. 1834); CH-Bu <> Briefe von und an Guhr (teils Entwürfe) von Mendelssohn Bartholdy (1839, o. J.), Schopenhauer (1844), Vieuxtemps (1841) und S. F. Hassel (1847); D-F <> Brief von Berlioz an Hiller (1842), in: Reinhold Sietz, Aus F. Hillers Briefwechsel, Köln 1958, S. 55 <> Brief von Jean Baptiste Baison (1844); D-Hth <> Brief von Heinrich Marschner (Hannover 1845), Gutachten von Guhr (Frankfurt 1846); D-LEu <> Brief an Hiller (Frankfurt 1848); D-KNa <> Brief von Berlioz (o. J.); D-Hu <> Brief von Berlioz (o. J.), in: Memoiren, München 1979, S. 332 <> Brief von Berlioz an Morel, ebd., S. 242–243 <> Schreiben von Guhr (nicht adressiert, o. J.); D-Hth <> Brief von Lindpaintner (Stuttgart o. J.); D-KIts <> Brief von Liszt ([Mainz] o. J.), in: Pauline Pocknell, Franz Liszt to „Monsieur Guhr“, Louisville 2000, S. 2f. <> Nachlassakten und andere Quellen; D-Fsa <> weitere Quellen: AmZ 1809–1848 (s. Reg.) <> Abend-Zeitung (Dresden) 27. Mai 1818, 17. Apr. 1823 <> Zeitung für die elegante Welt (Leipzig) 1820–22 <> Didaskalia 1823–1848; u. a. 10. Apr. 1835 (betr. Titelverleihung) <> Iris (Frankfurt/M.) 30. Sept. 1827, 2. Okt. 1827, 28. Okt. 1827 <> Allgemeine Musikzeitung zur Beförderung der theoretischen und praktischen Tonkunst (Offenbach) 28. Okt. 1827 <> Carl Gollmick, C. G. Nekrolog, Frankfurt/M. 1848 <> Neuer Nekrolog der Deutschen. 26. Jg., 1848 […] Erster Theil, Weimar 1850 <> Carl Gollmick, Auto-Biographie, nebst einigen Momenten aus der Geschichte des Frankfurter Theaters, Frankfurt/M. 1866 <> Hector Berlioz, Mémoires, Paris 1870 <> Reinhold Sietz, Aus Ferdinand Hillers Briefwechsel, Köln 1958 <> Xaver Schnyder von Wartensee und Hans Georg Nägeli, Briefe aus den Jahren 1822 bis 1835. Ausgewählt von Peter Otto Schneider, Zürich 1962 <> „Die Musik will gar nicht rutschen ohne Dich“. Briefwechsel 1821 bis 1846. Fanny und Felix Mendelssohn, hrsg. von Eva Weissweiler, Berlin 1997

Literatur und Referenzwerke — Bernsdorf <> EitnerQ <> FétisB <> GollmickH <> KlötzerFB <> Mendel/Reissmann <> NassB <> SchillingE <> StiegerO <> Carl Julius Adolph Hoffmann, Die Tonkünstler Schlesiens. Ein Beitrag zur Kunstgeschichte Schlesiens, vom Jahre 960 bis 1830, Breslau 1830 <> Carl Gollmick, Musikalische Feldzüge und Streifereien, Darmstadt 1846 <> Wilhelm Lynker, Geschichte des Theaters und der Musik zu Kassel, Kassel 1865 <> Wilhelm Heinrich Riehl, Musikalische Charakterköpfe. Ein Kunstgeschichtliches Skizzenbuch, Bd. 3, Stuttgart 1881 <> Wilhelm Lynker, Das Theater in Kassel, Kassel 1886 <> Weddigen 1894 <> Wilhelm Bennecke, Das Hoftheater in Kassel von 1814 bis zur Gegenwart, Kassel 1906 <> Helene de Bary, Geschichte der Museumsgesellschaft zu Frankfurt/M., Frankfurt/M. 1937 <> Das Museum. Einhundertfünfzig Jahre Frankfurter Konzertleben 1808–1858, hrsg. von Hildegard Weber, Frankfurt/M. 1958 <> Wolfgang Saure, Die Geschichte der Frankfurter Oper von 1792 bis 1880, Diss. Köln 1958 <> Die schönste Fidelio-Aufführung, in: Frankfurter Rundschau 30. Nov. 1962 <> Reinhard Lebe, Ein deutsches Hoftheater in Romantik und Biedermeier. Die Kasseler Bühne zur Zeit Feiges und Spohrs, Kassel 1964 <> Andreas Moser, Geschichte des Violinspiels. Zweite verbesserte und ergänzte Aufl. von Hans-Joachim Nösselt, Bd. 2, Tutzing 1967 <> Egmont Michels, Heinrich Anton Hoffmann. Leben und Werk, Mainz 1972 (= BzmM 13) <> Michels 1995 <> Philippe Borer, Paganini and the philosophy of the violin, in: Quaderni dell’Istituto di studi paganiniani, Okt. 1997, S. 47–58 <> Pauline Pocknell, Franz Liszt to „Monsieur Guhr“: A Hitherto Unpublished Note to a Hitherto Unsuspected Correspondent, in: The journal of the American Liszt Society (JALS) 48 (2000), S. 1–16 <> Christine Blanken, Orgelwerke der „Sammlung Scholz“ in ihrer Beziehung zu Nürnberger Instrumenten, in: Vom Klang der Zeit. Besetzung, Bearbeitung und Aufführungspraxis bei Johann Sebastian Bach (= Festschrift Klaus Hofmann), hrsg. von Ulrich Bartels und Uwe Wolf, Wiesbaden 2004, S. 44–68

Abbildung 1: Carl Guhr, Lithographie (Digitalisat aus D-F, Porträtsammlung Manskopf)

Abbildung 2: Titel zu Guhrs Ueber Paganini’s Kunst die Violine zu spielen; Privatbesitz


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  • angelegt 2019/03/11 22:23